Die Lutherverschwörung
beteiligen. Einer seiner Männer sei gerade zurückgekehrt, er habe mit einem Zigeuner gesprochen und dieser habe ein Mädchen gesehen, auf das die Beschreibung von Martha passe.
»Wo war das?«
»In einem Dorf Richtung Süden. Etwa zwei Stunden von hier.«
»War Martha denn allein? Was hat sie dort gemacht?«
Der Söldner mahnte zur Vorsicht; sein Name fiel ihr wieder ein, er hieß Gessner. Seine Nase war etwas verbogen, sonst sah er eigentlich nicht übel aus.
»Wir können natürlich nicht mit Sicherheit sagen, dass es sich um Martha handelte. Wir wissen nicht, wie zuverlässig der Zeuge ist, und außerdem gibt es noch viele andere Mädchen, die etwa sieben Jahre alt sind und blonde Haare haben. Aber wir werden der Sache nachgehen. Was wir bisher herausgefunden haben ist Folgendes: Einer meiner Männer hat eine Gruppe Zigeuner, die mit dem Wagen über Land fuhren, auf Martha angesprochen. Ein kleiner Junge hat behauptet, sie gesehen zu haben – und zwar auf einem Pferd zusammen mit einem Mann. Sie hat vor dem Mann gesessen, und der hat sie festgehalten.«
»Wie hat der Mann ausgesehen?«, fragte Anna. »Und in welche Richtung sind sie geritten?«
»Der Junge konnte sich leider nicht daran erinnern, wie der Mann aussah. Dafür sind ihm die blonden Haare des Mädchens aufgefallen. Wohin sie ritten, wusste er auch nicht.«
»Das kann nur Martha gewesen sein!«
»Es ist möglich, aber nicht sicher«, wiederholte Gessner. Seine skeptische Art ging ihr auf die Nerven. Wollte er ihr nun helfen oder nicht?
»Und was gedenkt Ihr jetzt zu tun?« Ihre Frage klang gereizter als beabsichtigt, aber er blieb ruhig.
»Ich habe Cranach und die Stadtwache informiert. Man wird dort in der Gegend, von der der Junge sprach, nachforschen. Vielleicht führt diese Spur ja zum Ziel. Ich wünsche es sehr … Aber bitte … Macht Euch nicht allzu große Hoffnungen!«
Eigentlich hätte sie ihm dankbar sein müssen, doch ihre Gemütslage ließ keinen Raum für solche Gefühle. Sie bat ihn nur, Bescheid zu sagen, wenn er Neues erfahren würde. Er gab ihr sein Wort darauf.
Anna verabschiedete sich von ihm. Mit weit ausholenden Schritten überquerte sie den Marktplatz Richtung Gasthof, aber die Wirtin sagte, der Pilger sei ausgegangen. Enttäuscht machte Anna sich auf den Rückweg zum Cranachhof.
Sie ging in ihre Kammer. Die Schuldgefühle waren fast unerträglich, und das nicht nur, weil sie Martha ins Freie geschickt hatte. Wahrscheinlich, überlegte Anna, hätte er sie früher oder später sowieso entführt; wenn nicht heute, dann bei einer anderen Gelegenheit. Trotzdem hätte sie Martha nicht gehen lassen dürfen. Sie hätte mehr Geduld mit ihr haben sollen; der Brief hätte warten können. Seit Bertholds Tod musste sie Vater und Mutter in einer Person sein.
Luther töten! Was für ein absurder Gedanke! Warum kam sie immer wieder darauf zurück? Der Pilger hatte ihr versichert, es sei ganz leicht, sie brauche sich nicht die Finger schmutzig zu machen, wie er sich ausdrückte. Ich wäre vielleicht fähig, diesen Pilger zu töten, überlegte Anna, aber nicht einen Unbeteiligten. Weshalb benutzte Zainer ausgerechnet sie als Werkzeug? Hatte sie in seiner Gegenwart etwas Abfälliges über Luther gesagt? Oder hatte ihm jemand erzählt, dass sie den Mönch nicht mochte?
Sie wusste genauso gut wie jeder andere Wittenberger, dass Luther zahlreiche Feinde hatte: Rom war gegen ihn, ebenso die Reichskirche und viele Fürsten. Noch einmal stellte sie sich die Frage, ob Zainer im Auftrag eines anderen handelte oder aus eigenem Antrieb. Luther töten? Und falls sie es täte – würde der falsche Pilger Wort halten?
KAPITEL 14
Jost und Hanna spazierten am Ufer der Elbe entlang. Der Fluss war frei von Eis, und bis auf ein paar Reste in Ufernähe war auch der Schnee weggetaut. Vogelgesang hing über dem schnell fließenden Strom, der das Sonnenlicht spiegelte, ebenso wie die verzerrten Formen schneeweißer Wolken mit grauen Rändern. Kinderschreie lärmten in der Nähe, während kühle, frische Luft den Fußgängern ins Gesicht blies.
Der Treidelpfad war aufgeweicht und das Laufen nicht angenehm. Jost ging links vom Treidelpfad und Hanna rechts, weil der Boden dort fester war; sie sprachen wenig und schauten vor ihre Füße. Bei einer Weide beobachteten sie Blaumeisen, die sich an den Zweigen und Ästen zu schaffen machten.
»Bald fangen sie an und bauen Nester«, sagte Jost. In der Ferne sahen sie ein Schiff, das Holz geladen hatte,
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