Die Macht der Angst (German Edition)
Erinnerung an den verbrannten Mann, der an ihrem Geburtstag ausgerastet war, um Längen.
»Es hat meine Kindheit nicht zerstört«, wiederholte sie. »Geprägt vielleicht, mehr auch nicht.«
»Von wegen! Du wurdest traumatisiert!« Ihr Vater spie ihr die Worte im Flüsterton entgegen. »Du bist seither nicht wiederzuerkennen!«
Dagegen ließ sich schlecht etwas einwenden, nachdem zu bezweifeln stand, dass ihr Vater überhaupt wusste, wie Edie davor gewesen war. Scheu und unbedeutend, so viel war sicher. Leicht zu übersehen. Ohne nennenswerte Auffälligkeiten.
Edie war erst danach auffällig geworden.
Ihre Mutter hatte die Geburtstagsparty unter dem Vorwand eines Magenvirus abgesagt. Damit hatte Edies Odyssee von einem Kinderpsychologen zum nächsten begonnen, begleitet von der endlosen Verabreichung von Medikamenten, um ihre Albträume, ihre Ängste, ihre vermeintlichen Obsessionen in den Griff zu bekommen. Ihre hoffnungslose Unfähigkeit, die Tochter zu sein, die ihre Eltern sich wünschten.
Sie verscheuchte den Gedanken und schüttelte den Kopf. »Er ist nur eine Romanfigur. Eine künstlerische Schöpfung. Das ist meine Arbeit, Dad. Damit finanziere ich meinen Lebensunterhalt.«
»Hör auf. Ich habe jede Geduld damit verloren, dass du dich als am Hungertuch nagende Künstlerin ausgibst, die gezwungen ist, in dieser Bruchbude von einer Wohnung zu hausen. Das ist eine Ohrfeige für mich und für deine Mutter, Gott hab sie selig, nachdem du in Wahrheit aus einem Dutzend wunderschöner Anwesen wählen könntest, in denen du leben könntest. Du könntest finanzielle Unterstützung haben, ein Auto –«
»Ich brauche keine finanzielle Unterstützung. Mir geht es gut. Außerdem habe ich bereits ein Auto.«
»Du nennst diese Klapperkiste ein Auto? Es ist eine Todesfalle. Du weißt, wie sehr ich in Sorge um dich bin. Welche Sorgen sich deine Mutter um dich gemacht hat! Ihre Sorge um dich hat ihr Leben verkürzt!«
Edie zuckte zusammen. »Das ist nicht fair!«
»Aber es ist wahr!« Ihr Vater schob auf diese selbstgefällige Art das Kinn nach vorn, die keinen Widerspruch zuließ.
Es war nicht fair. Edie traf keine Schuld an Linda Parrishs Tod, trotzdem tat es weh, diesen Vorwurf zu hören. Zu wissen, dass ihr Vater daran glaubte.
Ihre Mutter war vor vierzehn Monaten einem plötzlichen Herzinfarkt erlegen. Niemand hatte von einem Herzproblem gewusst. Sie war schlank, fit und außerordentlich elegant gewesen. Hatte Tennis und Golf gespielt. War aktives Aufsichtsratsmitglied in einer Vielzahl karitativer Einrichtungen gewesen. Bis sie sich dann eines Tages, während einer Vorstandssitzung der Parrish Foundation, an die Brust gegriffen hatte und zusammengebrochen war.
Edie hatte seit ihrem letzten obligatorischen allwöchentlichen Mittagessen mit ihrer Mutter gewusst, dass so etwas passieren würde. Während Linda ihr einen Vortrag über ihre Kleidung, ihre Frisur, ihren Gesichtsausdruck, ihre allgemeine Lebenseinstellung gehalten hatte, hatte Edie nervös auf ihre Serviette gekritzelt. Sie hatte das scharfe Profil ihrer Mutter skizziert und gefühlt, wie sich das Auge in ihr öffnete … dann war ihr aufgefallen, dass sie die Zeichnung mit Dutzenden Herzen umrahmt hatte. Große und kleine. Und in dem Moment hatte sie realisiert, dass ihre Mutter in tödlicher Gefahr schwebte.
Edie hatte nicht gewusst, wie dieses Verhängnis aussah oder wann es zuschlagen würde, sondern nur, dass etwas Schlimmes bevorstand. Etwas, das Linda Parrish das Leben kosten konnte. Edie hatte sich nach Kräften bemüht, die Symbole, die ihr Unterbewusstsein an die Oberfläche gespült hatte, zu deuten. Die Herzen brachten sie auf den Gedanken, dass ihre Mutter zum Arzt gehen und ein paar kardiologische Tests durchführen lassen sollte. Das war das Beste, was ihr einfiel.
Doch ihre Sorge hatte ihr nur Spott und Ärger eingebracht. Das Mittagessen wurde vorzeitig abgebrochen, und Edie fiel in Ungnade, weil sie ihre kranken Wahnvorstellungen auf ihre Mutter projiziert hatte, noch dazu in der Öffentlichkeit.
Eine knappe Woche später war Linda Parrish im Krankenwagen auf dem Weg zur Klinik gestorben. Edie hatte nicht mehr die Chance bekommen, sich von ihr zu verabschieden und das Kriegsbeil zu begraben.
Sie hatte das Ganze Millionen Male Revue passieren lassen. Sie hätte es klüger anstellen müssen, weniger offensichtlich, hätte jemand anderen bitten sollen, mit ihrer Mutter zu sprechen, jemanden mit Glaubwürdigkeit. Sie hätte den
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