Die Macht der Angst (German Edition)
Fäden an den Schläfen.
Ich komme zu dem Empfang, wenn du und Ronnie zu meiner Signierstunde kommt
. Das Ultimatum lag ihr auf der Zunge …, aber sie schluckte es runter. Über diese Art von Verhandlungsmacht gebot sie nicht. Es würde nur einen weiteren hässlichen Ausbruch zur Folge haben, und dafür hatte sie nicht die Energie.
Außerdem würde Ronnie an der Feierlichkeit teilnehmen, und das war Grund genug, die Zähne zusammenzubeißen, sich ein Abendkleid samt Stöckelschuhen anzuziehen und hinzugehen.
»Selbstverständlich«, sagte sie ruhig. »Es wird mich mit Stolz erfüllen, dich begleiten zu dürfen.«
»Gut. Du wirst dich mit Tanya und deiner Tante Evelyn wegen deines Kleids und deiner Frisur beraten«, fügte er in scharfem Tonfall hinzu, während er sie kritisch musterte. »Und natürlich wegen deiner Schuhe.«
»Natürlich.« Edie zwang sich zu einer aufrechteren Haltung. Es gab nichts, dessen sie sich schämen musste. Ihre wellige Mähne war frisch gewaschen und gebürstet. Ihre Hornbrille verbarg ihre Augen, und genauso wollte sie es haben. Ihre knöchelhohen Turnschuhe waren bequem. Sie war, was sie war, mit ihren Tintenklecksen und allem Drum und Dran. »Wenn Tanya und Tante Evelyn die Zeit finden, mit mir einkaufen zu gehen, bin ich gern bereit –«
»Sie werden sich die Zeit nehmen. Falls nicht, werde ich Marta bitten, für sie einzuspringen.«
Edie bemühte sich um eine ausdruckslose Miene, als sie diesen vollkommen absurden Vorschlag sacken ließ. Mit der perfekten, blonden, sechsunddreißigjährigen Trophäenfreundin ihres Vaters, vormals seine Sekretärin, ein Abendkleid auszusuchen, war ihre Vorstellung von der Hölle. Vermutlich sollte sie froh sein, dass ihr Vater jemanden hatte, der ihn über seinen schmerzlichen Verlust hinwegtröstete, würde da nur ein echter Mensch hinter Martas strahlendem Lippenstift-Lächeln stecken, doch das war nicht der Fall. Nein, es war nur das knirschende Getriebe einer berechnenden, eigennützigen Maschine. »Ich bin überzeugt, das wird nicht nötig sein«, versicherte sie hastig. »Bitte, bemühe Marta nicht.«
»Dann sorge dafür, dass ich es nicht muss.« Ihr Vater schaute auf ihre Hände und runzelte angesichts der Tintenflecke an ihren Fingern missbilligend die Stirn. »Du wirst doch vor dem Empfang noch zur Maniküre gehen, oder? Die Leute sollen nicht denken, dass du in einer Autowerkstatt arbeitest.«
Edie zog die Hände zurück. »Ja, natürlich.«
Der Kellner servierte ihren Rucolasalat mit Ziegenkäse und Pinienkernen und den Schwertfisch ihres Vaters. Nach wenigen Bissen legte Edie die Gabel weg und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. »Dad«, begann sie, »ich habe mich gefragt, ob ich dieses Wochenende nach Hause kommen und etwas Zeit mit Ronnie verbringen könnte.«
Ihr Vater kniff die Brauen zusammen. »Du kennst die Antwort darauf. Ich habe meine Bedingungen klar festgelegt. Ich weiß von Dr. Katz, dass du seit Wochen deine Sitzungen bei ihm schwänzt. Daraus schließe ich, dass du auch hinsichtlich deiner Medikamente nicht kooperierst. Warum also fragst du überhaupt? Damit verschwendest du unser beider Zeit und Energie.«
Sie schluckte schwer. »Ich brauche die Medikamente nicht. Ich fühle mich absolut ruhig und –«
»Edith. Du leidest unter Halluzinationen.« In seiner Stimme schwang ein gnadenloser Unterton mit. »Du bist eine Gefahr sowohl für deine Schwester als auch für dich selbst!«
Edie verspürte den Wunsch zu schreien, dass die Gläser barsten. Doch sie beherrschte sich. »Du irrst dich, Dad. Es sind keine Halluzinationen, sondern –«
»Mäßige deine Stimme! Soll denn jeder Bescheid wissen?«
Edie presste die Hand auf ihren bebenden, nein, schluchzenden Mund.
»Deine Schwester ist vom Tod eurer Mutter schon genug mitgenommen«, tobte ihr Vater in gedämpftem Ton weiter. »Dass jetzt auch noch du sie im Stich lässt, ist die ultimative –«
»Ich lasse sie im Stich? Das ist nicht fair«, presste Edie hervor. »Ich habe sie nie im Stich gelassen! Ich würde alles tun, um sie zu sehen! Und das weißt du auch!«
»Scht!« Er starrte sie böse an, dann guckte er sich verstohlen um, um festzustellen, ob sie belauscht wurden. »Sie ist in letzter Zeit außer Rand und Band. Es gab einen weiteren Vorfall mit ihren Knallkörpern. Sie hat sie übers Internet bestellt und das Paket als Buchsendung tarnen lassen. Dr. Katz meint, dass sie mich damit zu bestrafen versucht. Dass sie mir zeigen will, wie
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