Die Macht der Angst (German Edition)
umzuspringen. Damit es kein Missverständnis gibt, wer ihm hier auf die Nüsse geht.« Er beugte sich wieder über Kev. »Nicht dieses Dreckschwein Osterman, hörst du mich? Es ist diese Nervensäge Bruno! Irgendwer zu Hause?« Er kniff ihn in die Nase. »He! Hackfresse! Hallo! Jemand zu Hause?«
Noch immer keine Reaktion. Bruno pflanzte sich fluchend wieder auf seinen Stuhl. Tony hockte reglos wie ein Monolith auf der anderen Seite, seine Miene grimmig und versteinert. Er war ein Marine, ein ehemaliger Drillsergeant und Vietnamveteran. Gewohnheitsmäßig angepisst. Ein Großteil von dem, was um Onkel Tony herum vorging, machte ihn fuchsteufelswild. Bruno und Kev aus Solidarität meist mit eingeschlossen.
Der Junge lag wieder im Koma? Das ging dem alten Tony mächtig gegen den Strich.
Kev war so blass, so still. Wie Brunos Mutter damals, in ihrem Sarg. Die Leute vom Bestattungsinstitut hatten ein kreatives Händchen dabei bewiesen, die Verletzungen in ihrem Gesicht, die Rudy ihr zugefügt hatte, zu übertünchen. Sie hatte seltsam friedvoll ausgesehen.
Doch im Gegensatz zu Brunos Mutter war Kev auch im Leben seltsam friedlich. Sogar bevor er wieder zu sprechen gelernt hatte, war Kev sanft wie ein Lamm gewesen. Er verlor nie die Beherrschung. Es sei denn, jemand verarschte ihn, dann konnte er sich in einen rasenden Derwisch verwandeln und diesen bedauernswerten Jemand nach allen Regeln der Kunst vermöbeln. Karate, Kung-Fu, Judo, Aikido, Ju-Jutsu waren samt und sonders Bestandteile von Kevs einzigartigem Kampfstil. Er war absolut unbesiegbar.
Tatsächlich hatten Kevs Kampfkünste die Anregung zu seinem Nachnamen gegeben. Nach dem Vorfall im Imbiss war Tony dazu übergegangen, ihn Kevlar zu nennen. Der Name war haften geblieben. Und als Kev wieder gut genug gesprochen hatte, um seinem Wunsch nach einem Nachnamen Ausdruck zu verleihen, war Kev Larsen daraus geworden. Es war Kevs verschrobene, eigentümliche Vorstellung von einem Witz und gleichzeitig ein nichtssagender, unauffälliger nordischer Name, der gut zu ihm passte. Mit seinem langen, athletischen Körper und dem dichten, aschblonden Haarschopf hätte man ihn für einen Schweden oder Dänen halten können. Zwar wies seine Haut eine leicht gelbliche Tönung anstelle der milchigen Blässe eines Nordländers auf, trotzdem erinnerte er mit seiner stoischen Miene an einen klassischen, vom Kampf gezeichneten Wikingerkrieger. Das Einzige, was ihm dazu fehlte, waren Zöpfe, ein gehörnter Helm und ein struppiger Fellumhang.
Also wurde er zu Kev Larsen, auch wenn Bruno sich alle Mühe gab, ihn immer wieder darauf hinzuweisen, dass nur ein narzisstischer Schlappschwanz sich den eigenen Namen in den Schenkel tätowieren würde. Einmal hatte er versucht, Kev damit aufzuziehen, dass er in seinem früheren Leben bestimmt schwul gewesen sei und Kev der Name seines Lovers war. Leider reagierte sein Bruder auf Hänseleien nie wunschgemäß. Die Narben an seinen Wangen durch sein Grinsen grotesk nach oben verzerrt, hatte er Bruno an den Hintern gegrapscht und Knutschlaute ausgestoßen, bis Bruno getürmt war.
Damit hatte Kev weiteren Frotzeleien bezüglich seiner vermeintlichen Homosexualität ein für alle Mal einen Riegel vorgeschoben.
Bruno hob das Kliniklaken an und musterte Kevs Bein. Ein dichter, dunkelblonder Flaum bedeckte seine sehnige, muskelbepackte Wade. Das Tattoo war sehr klein. Die drei unregelmäßigen Buchstaben waren nicht mehr als ein verschwommener bläulicher Fleck unter den Haaren. Sie erinnerten eher an einen Bluterguss.
Er ließ das Laken fallen. Der Anblick machte ihn nervös, ging ihm an die Nieren. Seine eigene Verletzlichkeit schien ihm ein Spiegelbild vor Augen zu halten, das ihn zu Tode ängstigte. Kev war die tragende Säule, die das Dach über seinem gesamten Leben stützte. Mehr noch als Onkel Tony oder Tante Rosa. Kev hatte ihm den Arsch gerettet. Er hatte Vergeltung geübt für das, was Rudy seiner Mutter angetan hatte. Zumindest in gewissem Maß. Es würde nie genug sein. Trotzdem war es tausendmal besser als nichts.
Kev durfte nicht sterben. Ein Leben ohne ihn war undenkbar. Normalerweise hatte Bruno keinen Hang zu schwülstiger Emotionalität, aber zu sehen, wie stark Kev momentan seiner Mutter ähnelte, als sie in ihrem Sarg gelegen hatte, nachdem Rudy mit ihr fertig war, traf ihn tief und wühlte eine Gefühlsebene auf, die er sonst lieber negierte. Dieses Bewusstsein ließ ihn andere idiotische, irrelevante Dinge realisieren.
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