Die Macht der Disziplin
klagten fortwährend, es sei unmöglich, einen Partner zu finden.
Was hinderte die New Yorker daran, Beziehungen einzugehen? Tierney verglich eine Auswahl von Kontaktanzeigen aus Stadtmagazinen 71 in Boston, Baltimore, Chicago, Los Angeles und New York. Dabei stellte er fest, dass die Singles aus New York, der größten Stadt, nicht nur die größte Auswahl, sondern auch die größten Ansprüche hatten. Im Stadtmagazin
New York
zählten die Partnersuchenden durchschnittlich 5,7 Eigenschaften auf, die ihr Wunschpartner mitbringen müsse – deutlich mehr als im zweitplatzierten Chicago, wo es nur 4,1 waren, und etwa doppelt so viele wie in den anderen Städten. Eine Frau in New York brachte es auf den Punkt, als sie schrieb: »Sie wollen keine Kompromisse machen? Ich auch nicht!« Sie behauptete, sie liebe alles, was New York zu bieten habe, aber davon ausgeschlossen waren offenbar alle Männer, die nicht attraktiv, erfolgreich, über 1,70 Meter groß und zwischen 29 und 35 Jahren alt waren. Eine andere New Yorkerin suchte gar einen Mann, der mindestens 1,75 Meter groß sein und Polo spielen müsse. Ein Anwalt erklärte erst, er sei »erstaunt«, dass er noch immer Single sei, nur um dann ganze 21 Eigenschaften aufzulisten, die seiner »Prinzessin« nicht fehlen dürften.
Unlängst haben Psychologen diese extrem wählerische Haltung auch mit wissenschaftlichen Methoden untersucht 72 und Zehntausende Menschen in Online-Kontaktbörsen oder Speed-Dating-Veranstaltungen beobachtet. In den Kontaktbörsen im Internet mussten die Teilnehmer lange Fragebögen zu ihren persönlichen Eigenschaften ausfüllen. Rein theoretisch hätten diese detaillierten Profile die Suche nach dem Traumpartner erleichtern müssen, aber in Wirklichkeit erzeugten sie derart viele Informationen und Optionen, dass die Teilnehmer geradezu absurd wählerisch wurden. Die Wissenschaftler Günter Hitsch und Ali Hortacsu von der University of Chicago sowie Dan Ariely von der Duke University stellen fest, dass Online-Dater inder Regel weniger als 1 Prozent der Menschen kennen lernen, deren Profile sie sich ansehen. Mehr Glück haben die Liebessuchenden in der Regel beim Speed-Dating, das meist auf ein oder zwei Dutzend Teilnehmer beschränkt ist. Jeder Teilnehmer erhält die Gelegenheit, sich einige Minuten lang mit den möglichen Kandidaten zu unterhalten. Dann geben sie eine Art Zeugnis ab, auf dem sie eintragen, wen sie gern wiedersehen würden, und bei gegenseitigem Interesse wird ein Kontakt hergestellt. Durchschnittlich treffen sich die Teilnehmer mit einem von zehn Personen, die sie auf diese Weise kennen lernen, und in einigen Untersuchungen betrug das Verhältnis sogar 1 zu 5 oder 1 zu 3. Angesichts der übersichtlichen Optionen und des Entscheidungsdrucks wählen Speed-Dater ihre Partner rasch aus. Die Online-Kunden, die so viele potenzielle Partner zur Auswahl haben, kommen dagegen nie über die Suche hinaus, so Ariely.
»Bei so vielen Kriterien und so vielen Auswahlmöglichkeiten suchen sie das Perfekte«, meint er. »Sie wollen sich mit niemandem einlassen, der nicht in Größe, Alter, Religion und 45 anderen Dimensionen ihrem Ideal entspricht.«
Ariely untersuchte diese Furcht, sich von Optionen zu verabschieden, mit Hilfe eines Computerspiels, in dem die Teilnehmer Geld gewinnen konnten. Dazu mussten sie Türen zu verborgenen Räumen öffnen, in denen sich Bargeld befand. Die beste Strategie bestand darin, die drei Türen zu öffnen, die lukrativste Belohnung zu finden und in diesem Raum zu bleiben. Doch selbst nachdem die Spieler diese Strategie durchschaut hatten, fiel es ihnen schwer, in dem Raum zu bleiben, sobald das Spiel eine Wende nahm: Wenn sie sich eine gewisse Zeit lang in dem Raum aufgehalten hatten, schloss sich die Tür und verschwand schließlich. Viele Spieler reagierten derart besorgt, dass sie in einen Raum liefen, um die Tür offen zu halten, obwohl sie auf diese Weise ihren Gesamtgewinn verringerten.
»Wenn sich eine Tür schließt, wird das als Verlust erlebt. Viele sind bereit, einen hohen Preis zu bezahlen, um diese Verlusterfahrung zu vermeiden«, erklärt Ariely. 73 Gelegentlich kann das sinnvoll sein, aberoft sind wir so versessen, uns möglichst alle Optionen offenzuhalten, dass wir nicht sehen, welchen Preis wir – oder andere – langfristig dafür bezahlen. Wenn Sie sich nicht für einen Partner entscheiden, der nicht hundertprozentig perfekt ist, dann bleiben Sie allein. Wenn Eltern am Arbeitsplatz nie
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