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Die Macht der Disziplin

Die Macht der Disziplin

Titel: Die Macht der Disziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Baumeister
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Nein sagen können, dann bekommen sie auch ihre Kinder nie zu sehen. Und wenn sich ein Richter nicht dazu durchringen kann, eine Entscheidung zu treffen, dann hält er sich alle Türen offen – und schlägt sie dem Häftling vor der Nase zu.
    Trägheit
    Kompromisse sind menschlich. Im Tierreich sind lange Verhandlungen zwischen Räuber und Beute selten. Die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen, ist eine fortschrittliche und besonders schwierige Form der Entscheidungsfindung, weshalb wir sie als Erstes einbüßen, wenn unser Wille erlahmt. Das lässt sich besonders gut beobachten, wenn wir mit unserem müden Ich einkaufen gehen.
    Käufer müssen ständig Kompromisse zwischen Qualität und Preis machen, die sich nicht unbedingt proportional zueinander verändern. Oft steigt der Preis sehr viel schneller als die Qualität der Ware: Eine Flasche Wein, die 100 Euro kostet, ist vermutlich besser als eine Flasche Wein, die nur 20 Euro kostet, aber ist der Wein wirklich fünfmal so gut? Oder ist ein Hotelzimmer für 1   000 Euro fünfmal so gut wie eines für 200? Die Antwort hängt von Ihrem Geschmack und Ihrem Geldbeutel ab, aber dass Weine für 100 Euro und Hotelzimmer für 1.000 Euro relativ selten sind, lässt darauf schließen, dass kaum jemand diesen Preis für gerechtfertigt hält. Ab einem gewissen Punkt ist der Preisunterschied nicht mehr durch den Qualitätsunterschied gerechtfertigt. Aber diesen Punkt zu finden, ist gar nicht so einfach.
    Je erschöpfter Ihr Wille, umso weniger sind Sie in der Lage, diesen Kompromiss zu suchen. Sie verwandeln sich in einen »kognitiven Geizhals« 74 , wie Forscher das nennen, und sparen Ihre Energie, indemSie jeden Kompromiss vermeiden. Sie sehen sich vermutlich nur noch eine Dimension an, zum Beispiel den Preis: Geben Sie mir einfach das Billigste. Oder Sie verwöhnen sich, indem Sie nur auf die Qualität achten: Geben Sie mir das Beste, was Sie haben (das bietet sich vor allem dann an, wenn jemand anders bezahlt).
    Entscheidungsmüdigkeit macht uns außerdem zu willigen Opfern von Verkäufern, wie der Psychologe Jonathan Levav von der Columbia University in Experimenten mit Maßanzügen und Neuwagen zeigte. Ähnlich wie Jean Twenge kam ihm die Idee dazu bei seinen Hochzeitsvorbereitungen. Auf den Vorschlag seiner Braut hin ging er zu einem Schneider, um einen Anzug in Auftrag zu geben, und diskutierte mit ihm die Wahl des Stoffs, des Futters, der Knöpfe und so weiter.
    »Als wir beim dritten Stapel Stoffe angekommen waren, wollte ich mich aus dem Fenster stürzen«, erinnert sich Levav. »Ich konnte die Stoffe nicht mehr auseinanderhalten. Nach einer Weile hatte ich nur noch eine Standardantwort: ›Was würden Sie mir empfehlen?‹ Ich hatte einfach keine Kraft mehr.«
    Am Ende kaufte Levav einen Anzug von der Stange (der Preis des Maßanzugs erleichterte ihm die Entscheidung), doch er ließ sich von der Erfahrung beim Schneider inspirieren, um zusammen mit Mark Heitmann von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Andreas Herrmann von der Universität St. Gallen und Sheena Iyengar von der Columbia University einige Experimente zu entwickeln. In einem davon sollten Schweizer Wirtschaftsstudenten einen Maßanzug bestellen, in einem anderen wurden deutsche Autokunden heimlich beim Kauf eines Neuwagens beobachtet. Die Autokunden – echte Kunden, die ihr hart verdientes Geld ausgaben – mussten beispielsweise zwischen vier verschiedenen Gangschaltungen, dreizehn verschiedenen Reifen und Felgen, zwölf verschiedenen Kombinationen aus Motoren und Getrieben und einer Palette von 56 verschiedenen Sitzbezügen ihr Auto zusammenstellen.
    Zu Beginn wählten die Kunden noch sorgfältig aus, aber als die Entscheidungsmüdigkeit 75 einsetzte, wählten sie zunehmend einfachdie Standardoption. Je mehr Entscheidungen sie zu Beginn zu treffen hatten – beispielsweise die Auswahl unter 56 verschiedenen Grau- und Brauntönen für die Sitze –, umso schneller ermüdeten sie und gingen den Weg des geringsten Widerstandes. (Haben Sie beim Kauf Ihres letzten Autos mehr Zeit mit der Auswahl der Farbe und Sitzbezüge zugebracht als bei der des Motors? Haben Sie, obwohl es beim Motor um mehr Geld ging, einfach den Standard gewählt, statt Ihre Entscheidung sorgfältig zu überdenken?) Die Forscher stellten fest, dass die Kunden nach einer Änderung der Reihenfolge andere Entscheidungen trafen – der Preisunterschied betrug durchschnittlich 1   500 Euro. Ob die Kunden einen geringen Aufpreis

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