Die Macht der Disziplin
für Alufelgen oder einen saftigen Aufpreis für einen stärkeren Motor zahlten, hing davon ab, an welchem Punkt sie vor diese Entscheidung gestellt worden waren und wie viel Willenskraft sie zu diesem Zeitpunkt noch aufbringen konnten.
Das Experiment mit den Maßanzügen führte zu einem ähnlichen Ergebnis: Sobald die Entscheidungsmüdigkeit einsetzte, neigten die Kunden dazu, sich einfach den Empfehlungen des Schneiders anzuschließen. Wenn sie zu Beginn die schwierigsten Fragen entschieden – diejenigen mit den meisten Optionen, etwa die Wahl zwischen hundert verschiedenen Stoffen –, ermüdeten sie schneller und gaben später an, den Kauf weniger genossen zu haben, als wenn sie mit einfachen Entscheidungen anfingen und dann zu den schwierigen übergingen.
Manchmal wurden die Käufer durch die vielen Entscheidungen derart ermattet, dass sie am Ende gar nichts kauften, aber meistens finden clevere Verkäufer eine Möglichkeit, diese Müdigkeit auszunutzen. Wenn Sie erleben wollen, wie diese Strategie funktioniert, müssen Sie nur in den Supermarkt gehen. Nachdem Sie Ihren Einkaufswagen durch eine Regalreihe nach der anderen geschoben und unter Tausenden mehr oder weniger nahrhaften Lebensmitteln und praktischen Produkten ausgewählt haben, kommen Sie an die Kasse. Und was wartet da auf Sie? Klatschzeitschriften und Schokoriegel.Nicht umsonst spricht man von Spontankäufen. Es ist kein Zufall, dass man Ihnen die Süßigkeiten genau in dem Moment präsentiert, in dem Sie ihnen am wenigsten widerstehen können und Ihr von den vielen Entscheidungen erschöpftes Gehirn dringend einen Energieschub benötigt.
Was ist Ihr Preis?
Stellen Sie sich vor, dass wir Ihnen als Belohnung dafür, dass Sie dieses Kapitel zu Ende gelesen haben, einen Scheck überreichen. Sie haben die Wahl zwischen einem Scheck über 100 Euro, den Sie sofort einlösen können, und einem Scheck über 150 Euro, der erst in einem Monat ausgezahlt wird. Welchen der beiden nehmen Sie?
Für Wirtschaftswissenschaftler ist diese Frage ein klassischer Test der Selbstdisziplin. Keine Bank zahlt Ihnen 50 Prozent Zinsen in einem Monat. Wenn Sie keine bessere Anlagemöglichkeit haben und das Geld nicht ganz dringend brauchen, dann sind Sie besser bedient, wenn Sie einen Monat warten und 150 Euro einstreichen. Die korrekte Antwort wäre also: der zweite Scheck über die höhere Summe. Kurzfristigen Verlockungen widerstehen zu können, ist das Geheimnis des Wohlstands aber auch der Zivilisation. Die ersten Bauern mussten eine Menge Willenskraft aufbringen, ihr Saatgut zu pflanzen und nicht an Ort und Stelle aufzuessen.
Warum schnappen dann ihre besser genährten Nachfahren in wissenschaftlichen Experimenten oft nach den 100 Euro, die sie sofort einstecken können, und warten nicht auf die größere Belohnung? Weil es sich um ein weiteres Beispiel einer irrationalen Abkürzung handelt, die wir nehmen, wenn unser Wille durch allzu viele Entscheidungen ausgelaugt ist. Eine rasche Dosis Glukose kann diesem kurzfristigen Denken entgegenwirken – das zeigt sich, wenn Versuchsteilnehmer eine Limonade trinken und erst dann die Entscheidung zwischen dem kleinen Betrag jetzt und dem größeren später treffen.
Einen weiteren Grund, warum sich Menschen für das schnelle Geld entscheiden, fanden Margo Wilson 76 und Martin Daly von der McMaster University mit Hilfe eines klugen Experiments. Zu Beginn des Versuchs forderten die beiden Evolutionspsychologen ihre studentischen Versuchsteilnehmer auf, zwischen zwei Schecks zu wählen: einem, der auf den folgenden Tag datiert war, und einem zweiten über einen höheren Betrag, der auf ein späteres Datum ausgestellt war. Danach sollten die Teilnehmer Fotos von Personen und Autos bewerten. Die Fotos stammten von der Website hotornot.com, einer Internetseite, auf der Mitglieder Fotos von sich einstellen und ihre Attraktivität auf einer Zehn-Punkte-Skala bewerten lassen. Einige der Versuchsteilnehmer sollten Bilder von Angehörigen des anderen Geschlechts bewerten, die auf der Website als »hot« gehandelt wurden (und 9 Punkte oder mehr erhalten hatten), die anderen Teilnehmer bekamen nicht ganz so heiße Bilder zu sehen (die mit weniger als 5 Punkten bewertet worden waren). Eine dritte Gruppe von Versuchsteilnehmern sollte Autos bewerten und sah heiße Schlitten und alte Rostlauben.
Zum Abschluss wurden die Teilnehmer erneut aufgefordert, sich zwischen den beiden Schecks zu entscheiden, und die Wissenschaftler
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