Die Macht der Disziplin
ein typischer Geldverschwender auf Einkaufstour ging, blieb die Inselrinde ruhig – selbst wenn er darüber nachdachte, sein sauer verdientes Geld für eine Uhr auszugeben, die je nach Stimmung die Farbe wechselte.
Aber besagter Geldverschwender war kein ganz hoffnungsloser Fall. Vielleicht sollten wir an dieser Stelle der Vollständigkeit halber erwähnen, dass es sich um John Tierney handelte. Der Hirnscan 79 bestätigte zwar seine verschwenderische Grundhaltung, denn während er darüber nachdachte, sein Geld für überflüssigen Nippes auszugeben, zuckte seine Inselrinde nicht im Geringsten. Doch dann griffen die Wissenschaftler zu einem Trick und hielten Tierney seine letzte Kreditkartenabrechnung vor die Nase. Endlich reagierte sein Gehirn mit Missfallen: Als Tierney die nicht bezahlte Rechnung über 2 178,23 Dollar sah, sichteten die Neuro-Ökonomen immerhin ein leises Flackern in der Inselrinde.
Das war ermutigend. Aber wie ließ sich diese Erkenntnis nutzen? Die Wissenschaftler konnten ihm doch nicht im Einkaufszentrum hinterherlaufen und ihm seine Kreditkartenabrechnung unter die Nase halten, um ihn an die Konsequenzen seines Kaufrauschs zu erinnern.Die beste Lösung war, ihm ein Budget vorzugeben und ihm zu helfen, seine Ausgaben zu kontrollieren, genau wie dies Charles Darwin mit seinem Sohn gemacht hatte. Das war jedoch leichter gesagt als getan.
Zum Glück gibt es Aaron Patzer. Patzer wäre ein Sohn ganz nach Darwins Geschmack gewesen. Schon als Jugendlicher führte er peinlich genau Buch über seine Ausgaben und verbrachte seine Sonntage damit, sie am Computer zu kategorisieren. Irgendwann, während er bei einem Start-up in Silicon Valley arbeitete, gab er diese Angewohnheit eine Zeit lang auf. Als er sich dann hinsetzte, um seine Finanzen zu überprüfen, hatte er plötzlich Hunderte von Transaktionen zu verarbeiten. Es musste doch eine bessere Möglichkeit geben, seine Freizeit zu verbringen, dachte er sich. Konnte das nicht ein Computer übernehmen? Also gründete er das Unternehmen Mint.com 80 und war damit so erfolgreich, dass er es nach nur zwei Jahren für 170 Millionen Dollar an Intuit verkaufte.
Inzwischen verfolgt Mint die Finanzen von fast sechs Millionen Kunden. Damit ist es eines der größten Experimente zum zweiten entscheidenden Schritt der Selbstdisziplin: der Kontrolle des Verhaltens. Nebenbei handelt es sich um eine ermutigende Entwicklung in der Geschichte der künstlichen Intelligenz. Wie andere Unternehmen, die verschiedene Aspekt Ihres Lebens elektronisch überwachen – Ihr Gewicht, Ihren Schlaf, Ihre Fitness –, verwendet Mint Computer für ein zutiefst humanistisches Projekt. Seit Frankenstein befürchten Science-Fiction-Autoren, die künstliche Intelligenz könnte sich ihrer eigenen Macht bewusst werden und sich gegen ihre Schöpfer auflehnen. Politische Autoren sorgen sich über die Folgen umfassender Überwachung durch Computer – Big Brother is watching you! Aber obwohl Maschinen immer mehr können und wir heute von immer mehr Computern beobachtet werden, haben sie noch kein Bewusstsein entwickelt und sind nicht im Begriff, die Macht an sich zu reißen. Im Gegenteil, sie helfen
uns
, bewusster zu werden.
Das Ich-Bewusstsein ist eine sonderbare Eigenschaft unter Tieren.Hunde bellen einen Spiegel an, weil sie nicht erkennen, dass sie sich selbst darin sehen. Auch die meisten anderen Tiere verstehen das Prinzip des Spiegels nicht. Um das zu überprüfen, malen ihnen Wissenschaftler in einem Test mit geruchloser Farbe einen Punkt auf den Körper und setzen sie vor einen Spiegel. 81 Sie wollen beobachten, ob das Tier den Punkt auf seinem Körper berührt oder auf andere Weise erkennt, dass sich der Punkt in seinem Gesicht befindet (etwa indem es sich dreht, um den Farbtupfer besser zu sehen). Schimpansen und andere Menschenaffen bestehen den Test, genau wie Delfine, Elefanten und eine Hand voll anderer Arten, aber die meisten Tiere fallen durch. Wenn sie den Tupfen berühren wollen, greifen sie in den Spiegel. Auch Kleinkinder verstehen das Prinzip erst ab einem Alter von etwa zwei Jahren. Selbst wenn sie nicht mitbekommen, wie die Farbe angebracht wird, berühren sie den Tupfen, wenn sie ihn im Spiegel sehen, und reagieren oft freudig überrascht. Das ist leider nur die erste Phase des Bewusstseins. Schon bald wandelt sich das Ich-Bewusstsein in den Fluch der Pubertät. Die unbeschwerte Selbsterkenntnis der Kindheit weicht der Scham, mit der Jugendliche jeden
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