Die Macht der Disziplin
wäre nützlich zu wissen, woher er dabei seine Ausdauer nimmt. Wenn wir wissen, wie er es schafft, 44 Tage lang keine Nahrung zu sich zu nehmen, dann hilft uns das vielleicht, geduldiger auf unser Mittagessen zu warten. Wenn wir wissen, wie er es eine Woche lang lebendig begraben in einem Sarg aushielt, dann gibt uns das vielleicht die Geduld, ein zweistündiges Meeting durchzustehen. Was tut Blaine, um seine Willenskraft zu trainieren? Warum gab er beispielsweise nicht auf, als er bemerkte, dass bei seinem Weltrekordversuch im Luftanhalten von Anfang etwas schiefging?
Blaine hatte sich mehr als ein Jahr lang auf das Ereignis vorbereitet und gelernt, seine Lungen mit reinem Sauerstoff zu füllen, unbeweglich unter Wasser auszuharren und Sauerstoff zu sparen, indem er so wenig Energie wie möglich verbrauchte. Körperlich und geistig konnte er sich so vollständig entspannen, dass sein Puls auf unter 50 sank, gelegentlich sogar auf unter 20. Während eines Trainings in einem Swimmingpool auf den Kaimaninseln verlangsamte sich sein Herzschlag auf die Hälfte, sobald er nur die Luft anhielt, und er blieb ohne sichtliche Anstrengung 16 Minuten lang unter Wasser. Als er auftauchte und den Weltrekord von 16:32 nur knapp verfehlt hatte, wirkt er gelassen und erklärte, er habe keinerlei Schmerzen gespürt und seinen Körper und seine Umgebung kaum wahrgenommen.
Als er jedoch einige Wochen später in der Sendung von Oprah Winfrey und in Anwesenheit der Guinness-Richter den Versuch unternahm, den Weltrekord zu brechen, ergaben sich verschiedene Komplikationen. Es war nicht nur die zusätzliche Aufregung eines Fernsehauftritts: In der Sendung sollte er nicht mit dem Gesicht nach unten auf der Oberfläche eines Swimmingpools treiben, sondern aus einer großen Glaskugel heraus ins Publikum schauen. Um aufrecht stehen zu bleiben und nicht nach oben zu treiben, musste er seine Füße in zwei Schlaufen am Grund der Kugel einhängen. Während er seine Lungen mit reinem Sauerstoff füllte, machte er sich Sorgen, dass er vielleicht durch diese zusätzliche Muskelanstrengung mehr Sauerstoff verbrauchen könnte. Sein Puls war schneller als gewöhnlich, und als er die Luft anhielt, verlangsamte er sich nicht, sondern blieb bei über 100. Schlimmer noch, er konnte sein Herz rasen hören, weil der Herzrhythmusmesser zu dicht neben der Kugel aufgestellt worden war; das rasche Piep-Piep-Piep lenkte ihn ab und hinderte ihn zusätzlich daran, sich zu entspannen. Nach etwas über einer Minute war sein Puls auf 130 gestiegen und Blaine war klar, dass er ihn nicht würde kontrollieren können. Während die Minuten vergingen und sein Körper immer mehr Sauerstoff verbrauchte, blieb er bei über 100. Statt in meditative Ruhe zu versinken, beobachtete er versessen seinenPuls und den schmerzhaften Anstieg des Kohlendioxids in seinem Körper.
Nach sieben Minuten war er sich sicher, dass er es nicht schaffen würde. Nach neun Minuten kribbelten Arme und Beine, da der Körper Blut aus den Gliedmaßen abzog, um die wichtigen Organe zu versorgen. Nach elf Minuten spürte er ein schmerzhaftes Pochen in seinen Beinen und hörte ein lautes Klingeln in den Ohren. Nach zwölf Minuten fürchtete er, dass das taube Gefühl in seinem Arm und die Schmerzen in der Brust auf einen bevorstehenden Herzinfakt hindeuteten. Eine Minute später spürte er Krämpfe in der Brust und ein überwältigendes Bedürfnis, nach Luft zu schnappen. Nach vierzehn Minuten hatte sein Herz Aussetzer und sein Puls sprang wild zwischen 150, 40 und 100 hin und her. In dem Gefühl, dass ein Herzinfarkt bevorstand, löste er die Füße aus den Halterungen, damit ihn ein Notarztteam aus der Kugel ziehen konnte, für den Fall, dass er ohnmächtig wurde. Er ließ sich nach oben treiben und blieb knapp unter der Oberfläche, in der Erwartung, jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. In diesem Moment hörte er den Jubel des Publikums und wusste, dass er den bisherigen Weltrekord gebrochen hatte. Er sah auf die Uhr, hielt noch eine halbe Minute durch und tauchte mit einer neuen Rekordzeit von 17:04 Minuten auf.
»Das Leid hat völlig neue Dimensionen erreicht«, sagte er wenig später. »Ich habe immer noch das Gefühl, als hätte mir jemand mit voller Wucht in den Magen geschlagen.«
Aber warum hat er diese Tortur durchgehalten?
»Das hat viel mit Training zu tun«, erklärte er. »Das gibt einem das Selbstvertrauen, auch etwas schwierigere Situationen durchzustehen.«
Mit Training
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