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Die Macht der Disziplin

Die Macht der Disziplin

Titel: Die Macht der Disziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Baumeister
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meinte er nicht nur seine jüngsten Tauchübungen, auch wenn er im Jahr vor dem Rekordversuch eine Menge davon absolvierte. Jeden Morgen begann er mit einer Reihe von einfachen Übungen zum Luftanhalten (mit normaler Luft, nicht reinem Sauerstoff), die sich allmählich steigerten. Über die Dauer von einer Stunde hielt erinsgesamt 48 Minuten lang die Luft an und litt danach für den Rest des Tages unter heftigen Kopfschmerzen. Mit diesen Übungen gewöhnte er seinen Körper an den Schmerz während des Kohlendioxidanstiegs. Aber genauso wichtig waren andere Übungen, die er seit mehr als drei Jahrzehnten durchführte – also seit seinem fünften Lebensjahr. Blaine ist schon lange überzeugt, dass die Willenskraft ein Muskel ist, den man trainieren kann. Zum einen imitierte er einen Helden seiner Kindheit, den Zauberer Houdini, und zum anderen lernte er durch eigene Experimente.
    In seiner Kindheit in Brooklyn zwang sich Blaine, stunden- und tagelang Kartentricks zu üben. Er lernte, Wettschwimmen zu gewinnen, indem die gesamte Länge des Beckens durchtauchte – mit einiger Übung gewann er 500-Dollar-Wetten, weil er fünf Bahnen tauchen konnte. Im Winter trug er nur ein T-Shirt, auch wenn er an eisigen Tagen nach draußen musste. Er duschte regelmäßig kalt und ging gelegentlich barfuß durch den Schnee. Nachts schlief er auf dem Dielenboden seines Zimmers, und einmal ließ er sich zwei Tage lang in seinem Schrank einsperren, wohin ihm seine geduldige Mutter das Essen brachte. Er gewöhnte es sich an, sich dauernd Ziele zu setzen, die er erreichen musste, zum Beispiel jeden Tag eine bestimmte Strecke zu rennen oder so hoch zu springen, dass er das Blatt des höchsten Astes an einem bestimmten Baum erreichte, unter dem er jeden Tag hindurchging. Als er im Alter von elf Jahren in Hermann Hesses Roman
Siddhartha
vom Fasten las, wollte er es selbst ausprobieren und nahm vier Tage lang nur Wasser zu sich. Im Alter von achtzehn Jahren fastete er zehn Tage lang. Als Ausdauerkünstler benutzte er diese Übungen, um sich auf einen Event vorzubereiten. Dazu suchte er sich kleine Rituale, die nichts mit dem Stunt selbst zu tun hatten.
    »Bevor ich einen Ausdauertest mache, mutiere ich fast zum Zwangsgestörten«, erzählt er uns. »Ich nehme mir lauter komische Sachen vor. Wenn ich im Park auf dem Radweg jogge und an einem Radfahrersymbol vorbeikomme, das auf den Weg gepinselt ist, dann muss ich dem Radler beim Laufen auf den Kopf treten. Ich muss den Kopfgenau treffen. Für die Leute, die mit mir laufen, ist das vermutlich ziemlich nervig, aber ich habe das Gefühl, wenn ich das nicht mache, dann habe ich keinen Erfolg.«
    Aber warum glaubt er das? Warum sollte er besser die Luft anhalten können, nur weil er einem Strichmännchen auf den Kopf tritt?
    »Wenn Sie Ihr Gehirn dazu bringen, sich kleine Ziele vorzunehmen und umzusetzen, dann hilft Ihnen das, auch größere Dinge zu erreichen«, erwidert Blaine. »Es geht nicht nur darum, eine bestimmte Fähigkeit zu trainieren. Es geht darum, alles ein bisschen schwieriger zu machen als normal, und alles zu erreichen. Das gibt mir eine zusätzliche Reserve, mit der ich immer über das Ziel hinausgehen kann. Das ist für mich Disziplin. Wiederholung und Übung.«
    Im Falle von Blaine funktionieren diese Übungen offenbar, aber seine Ausdauerleistungen sind natürlich kein wissenschaftlicher Beweis und schon gar kein Vorbild für andere Menschen. David Blaine steht nicht stellvertretend für den Rest der Menschheit. Jemand, der als Kind kalt duscht und vier Tage lang fastet, ist nicht gerade repräsentativ. Vielleicht haben seine Leistungen ja gar nichts mit Training zu tun, vielleicht wurde er ja mit dieser Willenskraft geboren. Vielleicht sind seine Trainingserfolge ja nichts anderes als immer neue Beweise dafür, dass er mit einem übernatürlichen Willen zur Welt kam. Vielleicht ist die Willenskraft ein Muskel, den man trainieren kann, aber vielleicht verfügte Blaine von Anfang an über einen besonders kräftigen Muskel. Um festzustellen, ob das Training wirklich etwas bewirkt und auch uns Normalsterblichen etwas bringt, muss man es an Menschen testen, die keine Ausdauerkünstler sind und als Vorbild keinen heiligen Pfahlsitzer haben.
    Willenstraining
    Sozialwissenschaftler waren zunächst skeptisch, ob sich die Willenskraft tatsächlich trainieren ließe. Baumeisters Experimente zur Ego-Erschöpfung 96 hatten schließlich gezeigt, dass wir weniger Willenskraft besitzen, wenn

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