Die Macht der Drei
Papier knisterte, die Bleistifte rauschten. Professor Raps fuhr in seinen Ausführungen fort. Er ging ins einzelne und entwickelte rechnungsmäßig die Wirkungen, die sich auf diesem Wege erzielen ließen. Er bedeckte die schwarze Wandtafel mit dreißigstelligen Zahlen, die Kilowatt und Kalorien bedeuteten. Dann wurde die Vorlesung wieder allgemeiner…
»Wir haben keine Ahnung, durch welche Mittel, durch welche uns jedenfalls noch ganz unbekannte Form der Energie diese Fernwirkungen erzeugt werden, wie die explosive Entfesselung der Atomenergie zustande kommt. Ein Riesengeist, der dem Stande unserer Wissenschaft weit vorauseilte, muß diese Lösung gefunden haben…«
Professor Raps fuhr fort:
»Meine Herren, ich wurde von zwiespältigen Gefühlen ergriffen, als ich die hier eben vorgetragenen Entdeckungen machte. Auf der einen Seite die reine Forscherfreude über die gelungene Entdeckung, die Freude, die Sie alle wohl schon nach einer glücklich gelösten Laboratoriumsaufgabe empfunden haben. Auf der anderen Seite ein tiefes Grauen. Meine Herren, der Gedanke, daß eine übermenschliche Macht in die Hand sterblicher Menschen gelegt wurde, ist entsetzlich. Die Besitzer der Erfindung können der Welt jeden Tort antun. Sie können jede Stadt verbrennen, jedes Menschenleben vernichten. Wir sind wehrlos. Wir müssen widerstandslos über uns ergehen lassen, was die Besitzer der Macht für gut befinden werden. Der Gedanke ist kaum erträglich. Aber es ist die Wahrheit.«
Der Professor schloß seine Vorlesung vor der festgesetzten Zeit. Er war zu ergriffen, um sich jetzt noch dem planmäßigen Lehrstoff zu widmen.
Der Inhalt seines Vortrages erregte erneute Unruhe. Die Vertreter der großen Zeitungen kauften den Studenten ihre Niederschrift für schweres Geld ab. Noch am Abend des gleichen Tages wurde der Vortrag im Rundfunk über die ganze Erde verbreitet. Von Hammerfest bis Kapstadt, von London bis Sydney wurden die Mitteilungen verschlungen und erörtert.
Es war klar, daß der deutsche Gelehrte den Quellen der unbekannten Macht wenigstens theoretisch auf der Spur war. Je länger die Physiker der ganzen Welt sich in die Einzelheiten seiner Ausführungen vertieften, desto mehr mußten sie die Richtigkeit seiner Schlußfolgerungen anerkennen. Es gab in der Tat nur diese eine Erklärung für die ungeheuerlichen Wirkungen der Macht. Man mußte imstande sein, die konstant ruhende Atomenergie an jeder beliebigen Stelle des Erdballs explodieren zu lassen.
Aber die Mittel dazu kannte niemand. Wenn nicht am Ende… dieser deutsche Professor noch mehr wußte, als er im Kolleg gesagt hatte.
Der Gedanke, daß ein einzelner Staat das Geheimnis entdecken, sich zum Herrn der übrigen Welt machen könnte, schuf neue Unruhe.
*
An allen Punkten der Erde wartete man auf die nächsten Äußerungen der Macht. Die Spannung einer dumpfen Erwartung lag über der Welt, soweit sie von denkenden Menschen bewohnt war.
*
Nur dem Wunsch ihres Mannes folgend, hatte Diana Maitland Jane in ihr Haus in Maitland Castle aufgenommen. Widerstrebend zuerst, hatte sie sie dann liebgewonnen. Wenn dies junge Mädchen eine Verwandte des Doktors Glossin war, so hatte es jedenfalls nichts von den zweifelhaften Eigenschaften ihres Oheims geerbt. Mochte Dr. Glossin auch tausendmal gelogen haben, diesmal hatte er die Wahrheit gesprochen, als er sagte, daß Jane einsam und hilfsbedürftig sei. Lady Diana erkannte es mit dem geübten Blick der gereiften und lebenserfahrenen Frau.
Sie nahm sich vor, der Verlassenen eine mütterliche Freundin zu sein. In Maitland Castle während dieser Tage politischer Hochspannung und kriegerischer Verwicklungen selbst vereinsamt, zog sie sie in ihre Gesellschaft und hatte sie den größten Teil des Tages um sich. Dabei aber mußte sie die Entdeckung machen, daß die Seele des jungen Menschenkindes Rätsel barg.
Lady Diana fand, daß in den Erinnerungen Janes Lücken klafften. Was sie erzählte, erzählte sie schlicht und einfach, ohne Widersprüche. Aber plötzlich, an bestimmten Stellen, stockte die Erzählung, brach die Erinnerung ab, und es war Diana nicht möglich, die Lücken zu überbrücken.
Dazu der häufige Wechsel der Stimmung. Eben noch heiter, fast ausgelassen. Dann wieder still, grübelnd, nachdenklich, zerstreut. Wechselnde Stimmungen, schwankende Abneigungen und Sympathien, die sich bei den gemeinschaftlichen Mahlzeiten sogar in der Wahl der Speisen äußerten.
Diana Maitland hatte sich gesprächsweise mit
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