Die Macht der Drei
die Stufen und Eisbänder schnell empor, bis er die höchste Zinne erreichte. Da hatte in den vergangenen Tagen die Sonne den Eisberg mit wärmenden Strahlen umkost und seine Formen verändert, hatte aus dem grünlich und bläulich schimmernden Eismassiv ein Gebilde geformt, das an einen hochlehnigen Sessel gemahnte, an einen Königsstuhl aus den Zeiten der Goten oder Merowinger.
Hierblieb er stehen, und sein Auge haftete an der zum Sitz ausgeschmolzenen Gipfelzinne.
»Was ist das?… Ein Sitz!… Ein Thron!… Mein Thron?«
Mit einer Herrschergebärde ließ er sich nieder, den schweren Eisstock wie ein Zepter auf der rechten Seite, die Arme auf den Seitenlehnen dieses seltsamen Thrones. So saß er dort, rot von der Sonne umglüht, einer Statue vergleichbar und sann. Sprunghaft wurden seine Gedanken, kreuzten sich, überstürzten sich.
In der Höhle des Eisberges neben den Schreibapparaten, stand Atma. Der Inder ließ die Streifen durch die Finger laufen, zurück bis zu der letzten drohenden Depesche der Macht, die auch hier von den Apparaten mitgeschrieben war.
War die Kluft schon so weit geworden, daß Erik Truwor seine Gedanken und seine Geheimnisse für sich behielt?
Mit wachsender Sorge hatte Atma die Veränderung des Freundes verfolgt. Was würde kommen, was würde das Ende sein? Was stand im Buche des Schicksals über Erik Truwor geschrieben?
Atma sprang auf und verließ den Berg. Er stand auf dem flachen Eis und blickte sich um. Gegen den tiefroten Abendhimmel hoben sich die gigantischen Formen des Eisthrones ab. Wie eine dunkle Silhouette sah er die Gestalt Erik Truwors dort gegen den blutfarbigen Himmel in den Äther ragen. Ein Zepter an der Seite, den Blick in die Ferne gerichtet.
So gewaltig, so zwingend war das Bild, daß es Soma Atma in tiefen Bann schlug, seine Gedanken verzauberte, seine Erkenntnis trübte.
Sollte er sich täuschen? Erhob das Schicksal diesen Mann weit über alle Sterblichen? War ihm die Weltherrschaft, die absolute Gewalt über Tod und Leben aller Geschöpfe bestimmt?
In eisiger Einsamkeit verrann die Zeit, bis der Zauber wich, bis Atma nicht mehr den Schein, sondern das Wesen sah.
Erik Truwor saß dort oben und starrte regungslos in den glühenden Sonnenball. Leise und abgerissen fielen Worte von seinen Lippen.
»Zu meinen Füßen liegt die Welt! Was bin ich?… Was bin ich? Bin ich der Herr?… Ja… ja! Ich bin ihr Herr. Ich habe die Macht, sie zu zwingen!… Zwingen… zum Guten zwingen. Ein guter, ein gerechter Herr will ich sein. Aber wenn sie mir zu trotzen wagen?… Trotzen… Wer will mir trotzen?… Kein Sterblicher!… Auf Erden keiner… keiner!… Silvester… Atma?… Auch die nicht… Ha!… Der eine sicher nicht. Den hat das Schicksal genommen, als er sein Geschick erfüllt… Der andere!… Atma?… Atma!… Atma!!… Fiel Cäsar nicht durch Brutus’ Hand?… Atma!… Rief ich dich? Da kommst du ja…«
Halb aufgerichtet, mit vorgebeugtem Leibe blickte er auf Atma, der langsam den Pfad emporklomm. Fester umkrampfte seine Hand den schweren Eisstock.
»Hüte dich, Atma!«
Er sank in den Sessel zurück. In seinen Augen lauerte es.
Nun stand Atma dicht bei ihm. Schaute ihn mit der ganzen Kraft seines zwingenden Auges an und sah, wie Erik Truwor kalt und fremd an ihm vorbeiblickte:
»Erik Truwor! Siehst du deinen Freund nicht?«
Erik Truwor wandte leicht das Haupt und streifte den Inder mit einem flüchtigen kalten Blick.
»Was willst du?«
Fremd und leer klang die Frage.
»Fragst du so den Freund?«
Erik Truwor zog die Brauen zusammen, bis sie sich berührten. »Freund…?«
Der Ton des Wortes traf das Herz des Inders.
»Erik… besinne dich… Was willst du tun?… Denke an Pankong Tzo, an die Weissagung, an die Ringe! – Es waren drei!«
»Was gilt mir noch Pankong Tzo?… Und die drei Ringe…«
»Hast du Silvester auch vergessen?«
»Silvester?… Silvester… Der hat sein Geschick erfüllt… Seine Zeit war um…« Erik Truwor stieß den schweren Stock in das Eis, daß die Brocken spritzen. »Jetzt geht es um größere Dinge!«
»Dann brauchst du deinen Freund Soma auch nicht mehr?…Oh, daß ich bei Silvester im eisigen Grabe läge, statt diese Stunde zu sehen… Um größere Dinge geht es, sagst du…
Denke an die Worte der greisen Abtes: ›Es mag leichter sein, große Dinge zu vollbringen als gute!‹ Was du sinnst, weiß ich. Unheilig sind deine Gedanken! Aber ich sage dir, nie wird ein Werk bestehen, das auf Gewalt gegründet
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