Die Macht der Drei
den Namen, als gewähre ihm das Aussprechen höchste Seligkeit. Er hob die Arme und legte sie um Janes Hals. Er zog ihr Haupt zu sich und lehnte seine Wange an die ihre.
»Meine Jane«, sagte er so leise, daß sie wohl bemerken konnte, wie die körperliche Schwäche ihn zu übermannen drohte.
»Vor Gott schon lange und jetzt auch vor den Menschen.«
Seine Augen schlossen sich wieder, aber das selige Lächeln blieb auf seinen Lippen. Schnell und sanft schlummerte er ein.
Mit unhörbaren Schritten trat Atma neben Jane.
»Dein Geliebter schläft. Die Gefahr ist vorüber. Du armes Kind mußt auch ruhen. Komm und laß mich allein mit Silvester. Zur rechten Zeit will ich dich rufen.«
»Er schläft, er ist gerettet!« wiederholte Jane. Sie sprach es leise. Einen langen Blick warf sie auf den ruhig Schlummernden und folgte dem Inder. -
Nachdem die Krisis überstanden, die Kraft des Fiebers gebrochen war, machte die Genesung Silvesters schnelle Fortschritte. Schon am dritten Tage ging er an Janes Arm über die Wege des parkartigen Gartens, der das Haus umschloß, und jede Stunde des Tages war eine Stunde des Glücks für die Liebenden. Nach einer Woche wagten sie es, den Pfad zum Ufer des Torneaelfs zu wandern, berückt und entzückt von der romantischen Schönheit dieser wunderbaren Landschaft. Ein unendliches Glücksgefühl durchflutete ihre Herzen. In dem dichten Grase am Flußufer ließen sie sich nieder. Silvester lehnte seinen Kopf in Janes Schoß und schloß tief atmend die Augen.
»Wenn ich deine liebe Gestalt nicht fühlte, möchte ich glauben, es wäre nur ein schöner Traum, und würde den Himmel bitten, daß er nie ein Ende fände. Jane, du bist bei mir«, er zog ihre Hände an seine Lippen und küßte sie. »Die guten Feenhände, ihnen verdanke ich mein Leben.«
»O Silvester, wie gern wäre ich für dich gestorben, hätte mein Tod dir Rettung bringen können. Du hast so vieles, wofür du leben mußt. Ich habe nichts als dich. Was sollte aus mir werden, wenn ich dich nicht hätte.«
Ihre Arme umschlossen den Geliebten. Ihre Augen versenkten sich ineinander… ihre Lippen fanden sich in einem langen Kuß.
*
Im Hause Termölen war Geburtstag. Das Geburtstagskind Andreas Termölen trug seine acht Jahrzehnte, so gut ein Mensch sie zu tragen vermag. Schon am Vormittag hatte er den Festrock aus feinem schwarzem Tuch angelegt. Das volle weiße Haar, der starke Schnurrbart gaben dem Gesicht einen energischen Zug. Doch die Jahre machten sich fühlbar. An der Seite seiner Luise, der fünf Jahre jüngeren Gattin, hatte der Jubilar in den Vormittagsstunden die Schar der Gratulanten empfangen. Der Duft von Blumenspenden erfüllte das Wohnzimmer. Der Alte hatte sich aufrecht gehalten. Mit alten Freunden geplaudert und manch Gläschen getrunken. Nach der Mahlzeit war er froh, als er sich behaglich in dem alten Ledersessel ausstrecken konnte. Da konnten die alten Glieder wohlig ruhen und sich lösen.
Die Termölensche Ehe war kinderlos. Die Liebe der alten Leute betätigte sich an Neffen und Nichten. Auch an der dritten Generation, die zum größten Teil schon erwerbstätig im Leben stand.
Der alte Mann wollte sein Schläfchen machen. Aber die Anregungen und Ungewohntheiten des Tages wirkten nach. Er war zu aufgeregt dazu.
»Wat meinst du, Luischen, ob de Jong, de Willem, hüt von Essen röwerkütt?«
»Ich mein’, er wird schon komme, wenn er Zeit hat.«
Die Zwiesprache galt dem Oberingenieur Wilhelm Lüssenkamp von den Essener Stahlwerken. Der stand nun auch schon im fünfzigsten Lebensjahr. Aber für die beiden Alten blieb er nach wie vor »de Jong, de Willem«.
Der Alte sann einige Zeit über die Antwort nach.
»Wenn er Zeit hat. Et jibt jetzt mächtig zu don. Et jibt bald Krieg.«
Dann sprangen seine Gedanken zu einem anderen Gegenstand über.
»Wer hätt dat jedacht, Luische, dät aus unser Reisebekanntschaft auf dem Schiff… damals hinter Bonn… dat daraus wat Ernstlichet werden wird. Ich han mir nachher jedacht, der junge Mann damals müßte mich für ‘nen olen Schwefelkopf halten. Und da kütt dann en Brief aus Amerika. Un dann noch einer aus Schweden. Dat muß ich nochmal lesen.«
Frau Luise Termölen brachte die Briefe. Der alte Mann versuchte zu lesen. Die Hand war zu zittrig, und die Schrift verschwamm ihm vor den Augen.
»Lis du es jet, Luische. Du hast jüngere Augen.«
Frau Luise setzte sich zurecht und las die fünfzigmal gelesenen Briefe zum einundfünfzigstenmal.
*
Geehrter Herr
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