Die Macht der Drei
wurde mit riesenhaft vermehrtem Personal gearbeitet. Eben trocken, wurden die Öfen schon in Betrieb genommen. Vorsichtig begann die Beheizung. War nach vierundzwanzigstündiger Beheizung die letzte Spur von Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk getrieben, dann stieg die Hitze im Ofeninneren in wenigen Stunden auf grelle Weißglut. Dann warfen die Maschinen Charge auf Charge in den Ofen: Gußbrocken, Schmiedeeisen und alle anderen Rohstoffe, aus denen in der Höllenglut der edle Stahl gekocht wurde.
Der warme Betrieb mußte Tag und Nacht durchgehen, weil man die Öfen nicht erkalten lassen durfte. Aber die Produktion war jetzt verstärkt. Sie war schon verdreifacht und sollte noch einmal verdreifacht werden.
»Wat soll dat all? Wo wollt ihr mit der Unmasse Stahl hin?«
Wilhelm Lüssenkamp zuckte mit den Achseln.
»Nicht meine Sorge, Ohm. Das Schmelzwerk hat den Auftrag, soviel Stahl wie möglich zu liefern. Wenigstens aber eine Million Tonnen im Jahr. Da heißt es: Anbauen und sich dranhalten.«
»Et jibt Krieg, Jong. Ick hab’ dat schon vorher jesagt.«
»Kann sein, Onkel Andreas. Es sieht so aus. Der Amerikaner kauft Stahl. Der Engländer interessiert sich mehr für fertige Sachen. Im Motorenraum unsere neuen Turbinen… ich will mich nicht rühmen… aber die haben’s in sich und haben’s auch den Engländern angetan. Sie sollen schneller sein als die neuesten amerikanischen Typen.«
Die westeuropäische Staatengemeinschaft hatte nach eingehenden Beratungen beschlossen, sich in dem Konflikt zwischen dem Commonwealth und den USA streng neutral zu verhalten. Lieferungen von Halb- und Fertigfabrikaten – mit Ausnahme von Waffen und Munition – sollten aus volkswirtschaftlichen Gründen an beide Parteien zugelassen werden. Schon lag eine riesige Bestellung auf Rohstahl von Seiten der USA-Regierung vor, während die britische Regierung einen gewaltigen Auftrag auf Lieferung von Flugzeug-Turbodüsenmotoren tätigte.
Der alte Mann nickte zustimmend.
»Jong, et is jetzt über ein Menschenalter her. Aber der letzte Weltkrieg steht mir noch wie heute vor dem Gesicht. Manchmal scheint et mir noch heut unglaublich, dat ich damals am Leben geblieben bin… Et war die Hölle. Et war mehr als die Hölle.« Der Alte schwieg, von der Erinnerung ergriffen. Der Neffe nahm das Thema auf.
»Es war schlimm, Onkel Andreas. Aber jetzt kommt es noch viel schlimmer. Der Krieg, der uns bevorsteht, wird das Entsetzlichste, was die Welt jemals gesehen hat. Die Industrie der Erde keucht schon jetzt in voller Kriegsarbeit. Neue Mittel, neue Mordmethoden, von denen die meisten Menschen heute noch keine Ahnung haben. Aber… es geht nicht um unsere Haut. Die beiden Weltmächte, die übriggeblieben sind, schneiden sich die Kehle ab. Niemand kann die Katastrophe aufhalten. Sie ist unabwendbar. Wenn sie nicht morgen kommt, dann übermorgen. Aber sie kommt. Ich glaube nicht, daß wir noch im Frieden den Kornschnitt erleben. Kein Mensch kann das Verhängnis aufhalten.«
»Kein Mensch…«
Der alte Mann wiederholte es nachdenklich. Dann sagte er:
»…Janz wat anderes, Jong! In zehn Tagen jibt et bei uns Besuch. Einer von den Bursfelds. Ich hab’ dir ja erzählt, wie wunderlich wir ihn entdeckt haben. Sein Jroßmutter war meine Schwester. Eine Schwester deiner Mutter. Er wird uns mit seiner jungen Frau besuchen. Sieh, dat du in den Tagen auch mal zu uns kommst.«
Wilhelm Lüssenkamp versprach es. Sah auf die Uhr und bemerkte, daß es die höchste Zeit zum Aufbruch sei. Er mußte eilen, wenn er sein Flugzeug an der verabredeten Stelle treffen wollte. Die siedende Arbeit rief ihn zurück, fort aus dieser ruhigen Feierstimmung in die Gluten und zu den rasselnden Maschinen industriellen Hochbetriebes.
*
Glockengeläute klang vom Turm der alten Kirche von Linnais. Über die sonnenbeschienen Dächer des Ortes, über bestellte Felder, die in kurzen Sommerwochen spärlichen Ertrag brachten, zogen die Töne dahin, das Tal des Torneaelfs entlang, und verloren sich schließlich in bläulicher Ferne zwischen den föhrenbestandenen Ufern.
In der Kirche herrschte gedämpftes Licht. In hundert Farben spielte es durch die bunten Fenster. Die Kirche war fast leer. Nur einige zwanzig Personen saßen auf den dreihundertjährigen Eichenbänken und in den Chorstühlen.
Die Orgel setzte ein. Die Klänge des Chorals drangen durch den Raum. Es war der Hochzeitstag Silvesters. Der Tag seiner Vereinigung mit Jane.
Die Orgel schwieg. Der alte Geistliche segnete
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