Die Macht der Drei
Zeit zu unterbrechen. Lord Horace Maitland war mit Familie und Dienerschaft in sein Stadthaus übergesiedelt, ein einfaches, aber geräumiges Palais aus der Zeit des dritten Georg. Kaum zehn Minuten von seinem Ministerium entfernt.
Eine kleine Gesellschaft der nächsten Bekannten saß dort um den Teetisch versammelt. Lord Horace kam aus einer Sitzung. In diesem Kreise durfte er sich ziemlich frei äußern.
»Die Ansichten im Kabinett waren geteilt. Einige meiner Kollegen hoffen immer noch, daß sich ein Krieg vermeiden läßt. Die Entscheidung liegt beim Parlament, das morgen zusammentritt.«
»Eine bange Nacht für alle, die mit ihrem Blute für das Vaterland eintreten müssen.«
Einer der Gäste hatte es gesagt.
»Noch eine lange bange Nacht!«
Lady Diana flüsterte es mit bewegter Stimme. Sie blickte geistesabwesend vor sich hin und rührte mit dem kleinen Silberlöffel mechanisch in der Teetasse.
Lord Horace betrachtete sie mit forschendem Blick. Seit Tagen fiel ihm eine Veränderung an ihr auf, für die er keine Erklärung fand. Was konnte die ruhige, gefestigte Natur seiner Frau so außer Fassung bringen? Der drohende Krieg?…Wenig wahrscheinlich! Was sonst?
Lady Diana atmete, wie von einer Last befreit, auf, als die Gäste sich empfahlen. Lord Horace sah, wie gezwungen das Lächeln war, mit dem sie sie verabschiedete.
Vergeblich wartete er auf ihre Rückkehr.
»Die Lady hat sich in ihre Räume zurückgezogen.«
So lautete der Bescheid auf seine Frage. Es war ihm unmöglich, dem Grunde dieser Veränderung näherzukommen; er mußte wohl warten, bis seine Gattin freiwillig sprechen würde.
Er war in Sorge. Seine Heirat war eine Liebesheirat im besten und edelsten Sinne gewesen. Seine Standeserhöhung, die unerwartete Erbschaft des Lordtitels, hatte das innige zarte Verhältnis der Gatten nicht geändert. Die Liebe, die in der Hütte blüht, stirbt leicht im Palast. Hier war das nicht der Fall. Doch seit einigen Tagen fühlte Lord Horace, daß etwas Fremdes zwischen ihm und seiner Frau stand.
Lady Diana schritt rastlos in ihrem Zimmer hin und her, mit fiebrig geröteten Wangen. Die Lippen wie durstig geöffnet.
Die Uhr schlug sechs. Diana Maitland hielt in ihrem Gang inne und starrte auf das Zifferblatt.
»Schon wieder ein Tag vergangen… ohne Nachricht… Noch eine Nacht wie die vergangene ertrage ich nicht… Warum das alles?… Um eines Mannes willen, dessen Namen ich längst aus meinem Leben gestrichen zu haben glaubte. Ah…«
Sie warf sich auf den Diwan. Die eine Hand schob ungeduldig die Kissen zurecht, die andere strich das Haar von der Schläfe. Ihre Augen waren geschlossen, aber es zuckte zuweilen in den langen Wimpern.
Eine Welt lag zwischen diesem unruhig sinnenden, gegen Tränen kämpfenden Weib und jener heiteren, strahlenden Schönheit, die noch vor wenigen Tagen den Mittelpunkt der glänzenden Gästeschar in Maitland Castle gebildet hatte.
Ihre Lippen formten Worte.
»Warum lasse ich mich in wachem Zustand von diesen Tränen quälen? Ist es nicht genug in den unruhigen Nächten?…
Warum diese Angst?… Was habe ich getan, das ich nicht vor mir selbst, vor aller Welt verantworten könnte?
Ich bin nur feige… oder vielleicht krank… und könnte doch gerade so glücklich sein, wie mich die Welt schätzt.«
Lady Diana richtete sich heftig auf.
»Horace beobachtet mich… meine Aufregung ist ihm nicht entgangen… Ich bin ihm kein Geständnis schuldig! Nein, nein! Soll ich ein zweites Mal für eine Sünde büßen, die keine war?«
Erschöpft warf sie sich auf die Couch zurück und schlug die großen dunklen Augen zur Zimmerdecke auf. Wie unter einem Zwange sprach sie weiter:
»Der eine liegt auf dem Pere Lachaise. Der andere in Linnais…?«
Ein Pochen an der Tür. Auf silbernem Tablett brachte die Zofe einen Brief. Ein großes graues Kuvert. Deutsche Briefmarken. Die Schrift der Adresse schien ihr wohl bekannt, und doch konnte sie den Schreiber nicht erraten.
»Legen Sie den Brief auf den Tisch. Ich werde ihn später lesen.«
Sie sagte es mit gleichgültiger Stimme. Kaum hatte die Zofe den Raum verlassen, als sie aufsprang und den Umschlag mit zitternden Fingern zerriß. Ein einfaches Zeitungsblatt bildete den Inhalt. Eine schwedische Zeitung. Ihre Sprachkenntnisse reichten hin, den Inhalt halb zu entziffern, halb zu erraten. An einer Stelle ein roter Strich. Eine fettgedruckte Stichmarke… Linnais…
Sie ging zur Couch zurück, zwang sich gewaltsam, die wenigen
Weitere Kostenlose Bücher