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Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Titel: Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Bueb
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Unbehagen spüren.
    Erwachsene, die in Einrichtungen arbeiten, die Kinder betreuen, sollen ein Klima des Vertrauens schaffen, so dass Kinder und Jugendliche nicht zögern, das Gespräch zu suchen, wenn sie beunruhigt sind. Sie sollen Kinder darüber hinaus aufmerksam beobachten und, wenn sie auffälliges Verhalten wahrnehmen, mit anderen Mitarbeitern darüber sprechen. Leiter von pädagogischen Einrichtungen müssen Verhaltensregeln aufstellen, Mitarbeiter fortbilden und dafür sorgen, dass die Aufmerksamkeit nicht nachlässt, wenn das Thema aus der öffentlichen Diskussion verschwunden ist.
    Die Bemühung um Ehrlichkeit und die Bemühung um Aufklärung von Lügen gehören eng zusammen. Der Ehrliche muss daran arbeiten, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Wer das erkannt hat, wird Kants Feststellung zustimmen, dass Feigheit und Trägheit die Ursache sind, warum es uns so schwerfällt, ehrlich zu sein.

Der Mythos Salem oder wenn Ehrlichkeit als »cool« gilt
    Katja Mann reiste 1923 mit ihrem Sohn Golo nach Salem, um ihn Kurt Hahn vorzustellen, dem Leiter der Schule Schloss Salem. Am Ende des Gesprächs fragte Kurt Hahn: »Wie hältst du es mit der Ehrlichkeit?« – »Ich halte es mit der Ehrlichkeit wie Napoleon, ich lüge, wenn es mir nützt.«
    Katja Mann sah die Karriere Golos in Salem beendet, bevor sie begonnen hatte. Aber Kurt Hahn antwortete: »So viel Ehrlichkeit genügt mir, du bist aufgenommen!«
    Die Gründer von Salem waren Missionare der Ehrlichkeit. Sie entwarfen die Vision einer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, in der Ehrlichkeit eine Sache der Ehre sein sollte. Ein kleines Gemeinwesen sollte entstehen, ein besserer Staat im schlechteren, in dem junge Menschen die Tugenden einer Verantwortungselite üben sollten. Hier hat der Mythos Salem seinen Ursprung.
    Prinz Max von Baden, der letzte kaiserliche Reichskanzler, und Kurt Hahn, sein damaliger Privatsekretär, umwehte noch die Aura der Macht, als sie Salem 1920 gründeten. Beide waren zu jenem Zeitpunkt bereits Akteure und Werkzeuge historisch bedeutsamer Prozesse gewesen. Auch nach dem Rückzug aus den Positionen der Macht wollten sie politisch tätig bleiben. In ihren Augen hatten im Ersten Weltkrieg die Eliten versagt: Diese hätten sich der Diktatur des Militärs unterworfen, ihr Friedenswille habe nie zu Taten geführt. Den Eliten hätten die Ehrlichkeit, der Mut und die »Tatkraft« gefehlt, Überzeugungen durchzusetzen. Jugendliche zu ehrlichen und mutigen Menschen zu erziehen sah Kurt Hahn daher als notwendige Bedingung politischer Bildung an.
    Prinz Max und Kurt Hahn waren Politiker. Pädagogik war für sie der Anfang von Politik. Unter Politik verstanden sie die gemeinsame Regelung des Zusammenlebens in einer Gemeinschaft. Sie könne nur gelingen, davon waren sie überzeugt, wenn alle mit sich selbst und mit anderen ehrlich umgingen. Deswegen erklärten sie Ehrlichkeit zum obersten Prinzip ihrer Pädagogik.
    Den Abschluss ihrer gemeinsamen Tätigkeiten bildeten die Erinnerungen des Prinzen Max von Baden, die der Prinz mit der Unterstützung von Kurt Hahn verfasste. Golo Mann bemerkt im Vorwort: »Der Autor ist sachlich bis zum Asketischen, gerecht bis zur Ungerechtigkeit gegen sich selber.« 1 Er hätte auch formulieren können, er sei ehrlich bis zur Ungerechtigkeit gegen sich selber.
    Ehrlichkeit hieß in den Augen der Gründer zunächst einmal Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Sie übernahmen daher als zentrales Element ihrer Pädagogik die Methode der Selbstprüfung aus der Tradition der Klöster und nannten sie Trainingsplan. Jeder Schüler sollte sich täglich abends prüfen, ob er seine Pflichten erfüllt hat und mit anderen respektvoll umgegangen ist. Hierzu gab es eine Liste, auf denen Pflichten und Tugenden verzeichnet waren, die er mit einem Plus- oder einem Minuszeichen versehen musste. Diese Eintragungen wurden nicht kontrolliert.
    Die Vision wurde Wirklichkeit. Schüler regelten verantwortlich das Zusammenleben und bemühten sich, ehrlich und gerecht über die Moral der Gemeinschaft zu wachen. Lehrer pflegten bei Klassenarbeiten nach Verteilung der Aufgaben den Raum zu verlassen. Niemand nutzte ihre Abwesenheit, um zu betrügen. Das war gängige Praxis in Salem bis in die späten fünfziger Jahre. Wer abschrieb, war uncool – wie Schüler heute sagen würden. Es galt auch hier der Ehrenkodex.
    Als Strafe für Regelübertretungen mussten Schüler längere Spaziergänge oder gar kleine Wanderungen unternehmen. Es war

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