Die Macht Der Könige
weg. Während sie die Augen geschlossen hatte, waren sie mit dem blonden Soldaten und seinen Kameraden gegangen.
Außer ihr saß niemand in dieser Ecke, die durch den Schatten des großen Mannes verdunkelt wurde. Sie verrenkte sich schier den Hals und konnte nicht aufstehen, wie ein Mädchen es sollte, denn ihre Knie waren wie Wasser.
Der Mann erschien ihr als Riese, ganz in dunklen Stoff und Leder gekleidet. Sein Gesicht vermochte sie kaum zu sehen, nur den dunklen Schatten frischen Bartwuchses und eine Hand, die plötzlich auf sie zukam.
»Junge Dame«, sagte seine tiefe Stimme, »wie heißt du?«
»Sh-shawme«, stammelte sie und ärgerte sich darüber. Seine Hand wartete. Irgendwie hob sie ihre. Mit seiner Hilfe stand sie schließlich.
»Gehen wir in dein Zimmer, wenn es dir recht ist«, sagte er, und noch immer konnte sie sein Gesicht nicht deutlich sehen. Ihre Augen befanden sich in der Höhe seiner breiten Brust, und seine Augen blickten mit solchem Feuer auf sie herab - wie nur die Augen des Wanderfalken Dika es je getan hatten.
Zu spät, um davonzulaufen, nun, da die Abmachung so gut wie getroffen war. Sie begann, sich auf ihre kurze Ausbildung zu besinnen. »Etwas zu trinken, gnädiger Herr, oder etwas Stärkeres?« Drogen waren hier zu haben - um Mut zu machen, um Ausdauer zu verleihen, um auszugleichen, was immer auszugleichen war, das hatte Myrtis ihr erklärt.
»Ich bin als Hirt bekannt, Lämmchen«, sagte er, und sie verstand, daß er nichts zu trinken und nichts anderes wollte -außer ihr.
Im letzten Moment, während seine Hand sie unaufhaltsam aus der Ecke auf die Treppe zu zog, erinnerte sie sich an den Talisman, den Merricat ihr gegeben hatte, die Mandragorawurzel, ohne die dieser Mann bald erkennen würde, daß sie noch Jungfrau war.
Bestürzt blieb sie stehen, beide Arme zwischen ihnen ausgestreckt, und hatte nicht die Kraft, sich von ihm zu lösen. Er drehte den mächtigen Kopf fragend, da sah sie zum erstenmal sein Profil: das Profil eines reifen Mannes, hart und erfahren, eine kühne Nase und über einem stoppelbärtigen Kinn Lippen, deren leichtes Zucken verriet, daß er sich sehr bemühte, nicht zu lachen. Das war ein entschlossener Mann, ein Mann, vor dem man auf der Straße davonrannte, denn Männer wie er nahmen sich, was sie wollten. Mit Männern wie ihm trieb man kein Spiel.
»Ich - ich habe was auf der Bank liegenlassen.«
»Bei mir brauchst du das nicht«, sagte er mit solcher Sicherheit, daß Shawme nichts übrigblieb, als dem Druck seiner Hand zu gehorchen, der sie in seinen Arm zog.
Sie gingen die Treppe hinauf. Der rechte Arm des großen Mannes war um ihren Hals geschlungen. Sie hatte sich nicht zu erinnern vermocht, daß die Treppe so viele Stufen hatte und daß es so weit bis zu ihrer Kammer war. Sein Atem fühlte sich in ihrem Haar heiß an. Und es war nur der Klang seiner Stimme, den sie hörte, nicht die Worte.
Dem Ton nach sagte er beruhigend: Du bist mein. Ich habe alles im Griff. Entspanne dich, und alles ist gut. Die Worte waren, was Hirt dachte, daß sie jetzt hören wollte. Sie aber vernahm nur das Ende ihrer Kindheit aus ihnen.
Es spielte keine Rolle, was die Worte waren; es spielte keine Rolle, daß sie ihre trockenen Lippen mit seinen benetzte. Es spielte keine Rolle, daß er nicht Zip war. Wichtig war nur, daß sie nicht versagte, daß es ihn nicht verärgerte, wenn das Blut ihre Jungfräulichkeit verriet, wenn ihre mangelnde Erfahrung deutlich wurde.
Als sie ihre Kammer erreichten, wollte Hirt keine Hilfe bei seinem Lederzeug oder seinen Waffen. Und jemanden aus den Stiefeln zu helfen, das bedurfte keiner besonderen Ausbildung. Und dann half er ihr, wortlos und mit der eigenartigen Miene eines Gesichts, das es nicht gewohnt war, Humor und Güte auszudrücken, aber beides in den rötlichen; feurigen Augen verriet, die denen Dikas so ähnelten.
Als es ihm klar wurde, daß sie der Stellung, die sie hier hatte, unwürdig war, so unwissend und unvorbereitet, da zweifelte sie nicht, daß er sie verlassen und geradewegs zu Myrtis gehen würde, um sich zu beschweren. Doch das tat er nicht.
Er behandelte sie wie ein zerbrechliches Ding, wie die Musiker im Salon ihre Instrumente behandelten. Und schon bald lernte sie unter seinen Händen, weshalb die anderen Mädchen jeden Abend lächelnd zur Arbeit gingen.
Sie lernte so viel, daß sie in dem Augenblick, als ihre Röcke fielen, alles vergaß: was er gleich herausfinden würde; wie enttäuscht und verärgert
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