Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2
alle geschafft haben. Dass sie alle wie er kämpfen könnten.«
»Das wäre fantastisch«, stimme ich zu. »Aber ich bin ziemlich sicher, dass der gute alte Bernie auf unserem Schiff war.«
Ich lasse meine Hand über Bernie Kosars Rücken gleiten und spüre überall die verkrusteten Wunden.
Sam seufzt und lässt sich mit einem erleichterten Gesichtsausdruck zurücksinken. Wahrscheinlich stellt er sich gerade eine Armee aus Schimären vor, die in letzter Minute zu unserer Hilfe heraneilen, um die Mogadori zu besiegen.
Sechs sieht in den Rückspiegel und die Scheinwerfer des Autos hinter uns projizieren einen Streifen Licht auf ihr Gesicht. Sie schaut zurück auf die Straße und nimmt wieder diesen nach innen gewendeten Ausdruck an, den auch Henri immer aufgesetzt hat, wenn er ein Auto fuhr.
»Die Mogadori«, beginnt Sechs leise und schluckt, als Sam und ich unsere Aufmerksamkeit wieder auf sie richten. »Am Tag nachdem wir auf den Eintrag von Zwei geantwortet hatten, spürten sie uns in einem öden kleinen Nest in West Texas auf. Katarina hatte auf dem Weg von Mexiko fünfzehn Stunden amSteuer gesessen. Es wurde spät und wir waren beide erschöpft, weil wir nicht geschlafen hatten. Wir hielten an einem Motel abseits der Hauptstraße, genau so eines, wie wir es vorhin verlassen haben. Es war ein kleiner Ort, der aus einem alten Westernfilm zu stammen schien. Überall Cowboys und Rancher. Vor ein paar Gebäuden gab es sogar Pferdestangen, sodass die Leute ihre Gäule daran festbinden konnten. Es war alles ziemlich seltsam, aber wir waren gerade aus einer verstaubten mexikanischen Stadt gekommen und dachten uns nichts dabei.«
Während uns ein Auto überholt, legt Sechs eine Pause ein. Sie beobachtet den vorüberziehenden Wagen und wirft einen Blick auf den Tachometer, bevor sie sich wieder der Straße zuwendet.
»Wir gingen in einen Diner, um etwas zu essen. Als wir ungefähr zur Hälfte aufgegessen hatten, kam ein Mann herein und setzte sich. Er trug ein weißes Hemd und eine Krawatte, eine Western-Krawatte, um genau zu sein. Seine Klamotten sahen altmodisch aus. Wir ignorierten ihn. Gleichwohl fiel mir auf, dass die anderen Leute im Restaurant ihn genauso anstarrten wie uns. Irgendwann drehte er sich um und sah zu uns herüber. Aber da alle die ganze Zeit blöd geguckt hatten, schenkte ich ihm keine Beachtung. Ich war erst dreizehn und in diesem Moment konnte ich an nichts anderes als Schlafen und Essen denken. Wir aßen also auf und gingen zurück zu unserem Zimmer. Katarina ging unter die Dusche. Als sie mit einem Bademantel bekleidet wieder ins Zimmer trat, klopfte es an der Tür. Wir schauten einander verwundert an. Sie fragte, wer dort sei, und ein Mann antwortete, er sei der Motel-Manager und brächte uns frische Handtücher und Eis. Ohne nachzudenken ging ich zur Tür und öffnete sie.«
»Oh nein«, stöhnt Sam.
Sechs nickt. »Es war der Mann mit der Western-Krawatte,aus dem Diner. Er kam direkt ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich trug mein Amulett. Er wusste sofort, wer ich war. Und Katarina und ich wussten augenblicklich, wer er war. In einer fließenden Bewegung zog er einen Dolch aus dem Gürtel und schleuderte ihn nach meinem Kopf. Er war schnell, ich konnte überhaupt nicht reagieren. Ich hatte mein Erbe noch nicht erhalten, hatte keine Waffen zur Verteidigung. Ich war tot. Aber dann passierte etwas sehr Seltsames. Als der Dolch sich in meinen Schädel grub, war es sein Kopf, der gespalten wurde. Ich spürte überhaupt nichts. Erst später erfuhr ich, dass sie gar nicht wussten, wie der Zauber funktionierte. Dass er mich gar nicht töten konnte, bevor Nummer Eins bis Nummer Fünf gestorben waren. Er stürzte und zerfiel zu Asche.«
»Echt abgefahren«, befindet Sam.
»Warte mal«, unterbreche ich ihn. »Soweit ich gesehen habe, sind die Mogadori leicht erkennbar. Ihre Haut ist so weiß, dass sie schon fast wie gebleicht wirkt. Und ihre Zähne und Augen …« Meine Worte verhallen. »Wie konntet ihr ihn in dem Diner nicht erkennen? Warum habt ihr ihn ins Zimmer gelassen?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass nur die Scouts und die Soldaten so aussehen. Sie sind die mogadorische Ausgabe des Militärs. Das hat zumindest Katarina gesagt. Der Rest von ihnen sieht genauso menschlich aus wie wir. Der Typ, der zu uns ins Zimmer kam, wirkte wie ein Buchhalter. Er trug eine Brille mit Metallgestell, eine schwarze Hose und ein weißes Hemd mit dieser Krawatte. Er hatte sogar einen kleinen
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