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Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2

Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2

Titel: Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Nicht, weil ich ein Morgenmensch bin, sondern weil ich vor allen anderen ins Badezimmer und wieder heraus möchte.
    Schnell mache ich mein Bett, was mir nach all der Zeit hier ziemlich gut gelingt. Der Trick dabei ist, Bettlaken und Bettdecke am Fußende ordentlich festzustopfen. Dann muss man nur noch die andere Seite zum Kopfende hochziehen, die Seiten am Bettrand festmachen und die Kissen hinzufügen, sodass alles sauber und aufgeräumt aussieht – so, als könne eine Münze, die man darauf wirft, wieder abfedern und herunterfallen.
    Als ich fertig bin, ist Ella, das Mädchen, das am Sonntag angekommen ist und das Bett nahe der Tür zugewiesen bekommen hat, als Einzige ebenfalls wach. Wie an den beiden vorausgegangenen Tagen versucht sie, mir beim Bettenmachen nachzueifern, kämpft sich aber immer noch damit ab. Ihr Problem ist, dass sie am Kopfende beginnt statt am Fußende. Schwester Katherine, deren einwöchige Aufsicht an diesem Morgen endet, war bisher nachsichtig mit ihr. Jetzt beginnt Schwester Doras Turnus und ich weiß, dass sie Ella keine Fehler durchgehen lassen wird, egal wie neu sie auch bei uns ist oder was sie gerade durchgemacht hat.
    »Soll ich dir helfen?«, frage ich quer durch den Raum.
    Mit traurigen Augen sieht sie mich an. Ich kann ihr ansehen, dass ihr das Bett ziemlich egal ist. Wahrscheinlich ist ihr das Meiste zurzeit ziemlich egal. Angesichts der Tatsache, dass ihreEltern gestorben sind, kann ich es ihr nicht verdenken. Ich würde ihr gern sagen, dass sie sich keine Sorgen zu machen braucht, dass sie – im Gegensatz zu uns ›Lebenslänglichen‹ – nach einem oder spätestens zwei Monaten wieder hier rauskommen wird. Aber welch ein Trost könnte das im Augenblick für sie sein?
    Ich beuge mich über das Fußende ihres Bettes und zerre so lange am Bettlaken herum, bis es so liegt, dass ich es an den Seiten unterhalb der Matratze feststopfen kann. Dann ziehe ich die Bettdecke darüber.
    »Kannst du da mal an der Seite anfassen?«, bitte ich sie und deute auf die linke Bettseite, während ich mich rechts neben das Bett stelle. Zusammen streichen wir alles glatt, bis ihr Bett genauso ordentlich aussieht wie meins.
    »Perfekt«, sage ich.
    »Danke«, erwidert sie mit sanfter, schüchterner Stimme. Ich sehe in ihre großen braunen Augen und muss feststellen, dass ich sie wirklich mag und mich ein bisschen um sie kümmern möchte.
    »Das mit deinen Eltern tut mir sehr leid«, sage ich.
    Ella weicht meinem Blick aus. Wahrscheinlich bin ich ihr gerade zu nahe gekommen. Doch dann antwortet sie mit einem schwachen Lächeln: »Danke. Ich vermisse sie sehr.«
    »Ich bin sicher, dass sie dich auch vermissen.«
    Zusammen gehen wir aus dem Zimmer. Mit fällt auf, dass sie auf den Fußballen geht, so als wolle sie keinerlei Geräusche machen.
    Am Waschbecken fasst Ella ihre Zahnbürste so nahe an den Borsten an, dass sie diese fast mit ihren kleinen Fingern berührt. Die Zahnbürste wirkt dadurch viel größer, als sie ist. Als ich bemerke, dass sie mich im Spiegel beobachtet, lächle ich ihr zu. Sie erwidert mein Lächeln und entblößt dabei zwei Reihen winziger Zähne. Zahnpasta strömt aus ihrem Mund, läuft ihr überden Arm und tropft von ihrem Ellbogen herunter. Ich beobachte das S-förmige Rinnsal aus Zahnpasta. Es erinnert mich an irgendetwas und ich lasse meine Gedanken schweifen.
     
    Ein heißer Junitag. Wolken segeln über den blauen Himmel. Kühle Wasserläufe plätschern im Sonnenlicht. Die frische Luft riecht nach Pinien. Ich atme sie ein und lasse die Widrigkeiten aus Santa Teresa im Nichts verschwinden.
    Obwohl mein zweites Erbe sich anscheinend bereits kurz nach meinem ersten gezeigt hatte, war es mir erst ein ganzes Jahr danach bewusst geworden. Ich hatte es rein zufällig bemerkt und frage mich jetzt, ob ich noch über ein weiteres Erbe verfüge, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden.
    Jedes Jahr, wenn die Sommerferien beginnen, organisieren die Schwestern einen viertägigen Ausflug in ein nahe gelegenes Ferienlager in den Bergen, um diejenigen zu belohnen, die sich ihrer Einschätzung nach brav verhalten haben. Aus demselben Grund, aus dem ich auch die in entgegengesetzter Richtung liegende Höhle mag, gefallen mir diese Ausflüge: Sie sind eine Flucht – eine seltene Gelegenheit, über einen Zeitraum von vier Tagen in einem großen Bergsee schwimmen, klettern, unter freiem Himmel schlafen zu können und im Gegensatz zu den muffigen Korridoren von Santa Teresa endlich

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