Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2
hast nichts, Nummer Acht.«
Dann rammte er den Dolch in Katarinas Herz.
Sechs konnte nur noch schreien. Bevor Katarina ihren letzten Atemzug tat, hatten sich ihre Blicke ein letztes Mal getroffen. Noch immer geknebelt sank Katarina schließlich an der Wand herunter, bis sich die Stahlkette an ihren Armen spannte und ihr Körper schlaff zusammensackte, während das Licht in ihren Augen erlosch.
»Sie hätten sie so oder so getötet«, sagt Sechs mit leiser Stimme. »Indem ich ihm alles erzählte, habe ich ihr zumindest die schreckliche Folter erspart. Immerhin ein schwacher Trost.«
Sechs legt die Arme um ihre angezogenen Knie und starrt durch das Zugfenster auf einen unbestimmten Punkt irgendwo draußen.
»Ganz bestimmt ein Trost«, sage ich und wünschte, ich hätte genügend Mut, um aufzustehen und sie zu umarmen.
Zu meinem Erstaunen hat Sam diesen Mut. Er steht auf und geht zu ihr hinüber. Er sagt kein Wort, als er sich neben sie setzt, und breitet bloß seine Arme aus. Sechs vergräbt ihr Gesicht an seiner Schulter und weint.
Nach einer Weile richtet sie sich auf und wischt die Tränen fort. »Nachdem Katarina tot war, versuchten sie alles – und damit meine ich alles – um mich zu töten. Sie probierten es mit Sprengstoff und Strom, sie versuchten mich zu ertränken. Sieinjizierten mir Zyankali. Doch völlig nutzlos, ich spürte nicht mal den Einstich der Nadel. Sie warfen mich in eine mit Giftgas gefüllte Kammer, aber drinnen war bloß die frischeste Luft, die ich je geatmet habe. Der Mogadori, der draußen vor der Kammer saß und mit einem Knopfdruck das Gas einströmen ließ, starb nach wenigen Sekunden.« Mit dem Handrücken wischt sich Sechs noch einmal über die Wange. »Irgendwie ist es ganz schön verrückt. Ich glaube, ich habe mehr Mogadori getötet, während ich bei ihnen gefangen war, als dann später bei ihrem Überfall auf die Schule in Ohio. Schließlich warfen sie mich wieder in eine Zelle. Ich glaube, sie wollten mich so lange dabehalten, bis sie alle von Nummer Drei bis Nummer Sieben umgebracht hätten.«
»Gut, dass du ihnen gesagt hast, dass du Nummer Acht wärst«, meint Sam.
»Mittlerweile habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen. Es kommt mir vor, als hätte ich dadurch Katarinas Vermächtnis befleckt. Oder das der echten Nummer Acht.«
Sam legt seine Hände auf ihre Schultern. »Ganz bestimmt nicht, Sechs.«
»Wie lange warst du bei ihnen gefangen?«, frage ich.
»Ich glaube, es waren einhundertfünfundachtzig Tage.«
Meine Kinnlade fällt herunter. Über ein halbes Jahr völlig allein weggesperrt auf den Tod warten? »Es tut mir so leid, Sechs.«
»Ich habe gewartet und gebetet, dass sich mein Erbe endlich zeigen würde, sodass ich irgendwie aus dieser Gefangenschaft kommen könnte. Eines Tages war es dann so weit und das erste Erbe trat in Erscheinung. Ich hatte gerade gefrühstückt. Ich sah hinunter und meine linke Hand war verschwunden. Zuerst bin ich natürlich völlig ausgeflippt, doch dann wurde mir klar, dass ich die Hand noch immer spüren konnte. Ich versuchteeinen Löffel aufzuheben und es gelang mir. Schließlich begriff ich, was geschehen war. Und Unsichtbarkeit war genau das, was ich brauchte, um zu entkommen.«
Ihre erste Erfahrung mit dem Erbe hatte sich offenbar nicht so sehr von meiner unterschieden. Meine Hände hatten ebenfalls völlig unvorbereitet zu glühen angefangen, als ich in der ersten Klasse der Paradise Highschool saß.
Nach zwei Tagen konnte sich Sechs vollständig unsichtbar machen. Als das Essen ausgegeben wurde und sich die Klappe in der Zellentür öffnete, fand der mogadorische Wächter eine leere Zelle vor. Völlig panisch blickte er sich suchend um und drückte schließlich auf einen Alarmknopf, der ein schrilles Heulen in der gesamten Höhle auslöste. Die Stahltür wurde aufgerissen und vier Mogadori stürmten in die Zelle. Während sie völlig verdutzt dastanden und sich wunderten, wie Sechs entkommen konnte, schlüpfte sie durch die Türöffnung und lief einen langen Tunnel hinunter. Zum ersten Mal sah sie die Höhle mit eigenen Augen.
Es handelte sich um ein verzwicktes Labyrinth aus dunklen, zugigen und miteinander verbundenen Tunneln. Überall hingen Überwachungskameras. Sie kam an dicken Glasfenstern vorbei, die den Blick auf hell erleuchtete und sterile Kammern freigaben, bei denen es sich anscheinend um wissenschaftliche Labore handelte. Die Mogadori in den Kammern trugen weiße Plastikanzüge und Schutzmasken, aber
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