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Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2

Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2

Titel: Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Schließlich lege ich meine Hände auf ihre Schultern und versuche, sie zu beruhigen. Aber sie hat so große Schmerzen, dass sie meine Berührung kaum wahrnimmt.
    »Ich bin hier, Ella«, sage ich. »Ich bin bei dir und alles wird gut.«
    Sie öffnet die Augen und sieht mich flehend an. Erst jetzt entdecke ich die Verletzung an ihrer rechten Hand. Ihre winzige Faust ist verkrümmt und aufgerissen; aus einer Wunde zwischen Zeige- und Mittelfinger rinnt Blut.
Ihr Talent.
    »Oh, mein Gott. Ella, es tut mir so leid«, rufe ich verzweifelt. »Es tut mir so schrecklich leid.«
    Sie weint nur.
    Ich fange an zu schwitzen. Noch nie im Leben bin ich mir so nutzlos vorgekommen. »Versuch ganz still liegen zu bleiben«, sage ich unnützerweise. Das nächste Krankenhaus liegt eine halbe Autostunde von hier entfernt. Bis wir dort ankämen, hätte sie vor lauter Schmerzen bereits das Bewusstsein verloren.
    Rhythmisch schaukelt Ella von einer Seite auf die andere. Ich lasse meine zitternden Hände über dem zersplitterten Knochen schweben, der aus ihrer Haut ragt. Ich weiß nicht, ob ich besser zudrücken oder den Knochen unter die Haut zurückschieben soll. Ich entscheide mich, ihr Bein fest zu umklammern.
    In der Sekunde, in der meine Finger ihre Haut berühren, reagiert Ella mit einem scharfen Atemzug. Ein eisiges Kitzeln fährt durch meine Wirbelsäule. Es fühlt sich an wie neulich, als ich der verwelkten Blume im Computerraum neues Leben eingehaucht habe, und breitet sich jetzt in meinem ganzen Körper aus. Kann es sein, dass meine Fähigkeit Pflanzen zu heilen auch auf Menschen zutrifft? Ella hört auf zu weinen und atmet jetztschnell, wobei sich ihre kleine Brust stetig hebt und senkt. Ich spüre, wie sich die eisige Kälte in den Handflächen konzentriert und von dort zu meinen Fingerspitzen wandert. »Ich glaube, ich kann dich wieder gesund machen.«
    Sie atmet weiter mit fast unnatürlicher Geschwindigkeit und ihr Gesicht nimmt einen friedlichen, abwesenden Ausdruck an. Es macht mir Angst, dennoch lege ich die Hände über den Knochen, der aus ihrem Bein ragt. Ich spüre seine raue, abgebrochene Kante. Plötzlich beginnt er, sich unter die Haut zurückzuziehen. Die Fleischwunde verliert ihre rotweiße Verfärbung und nimmt wieder einen normalen Ton an. Ich kann sehen, wie sich die gezackten Konturen des gebrochenen Knochens unter der Haut bewegen und wieder ihren angestammten Platz einnehmen.
    Ich kann kaum glauben, was ich gerade getan habe. Dies könnte mein allerwichtigstes Erbe sein.
    »Bleib ruhig«, sage ich. »Ich bin noch nicht ganz fertig.«
    Ich schließe die Augen und lege meine Hand um ihr winziges rechtes Handgelenk. Die eisige Kälte fließt wieder durch meine Fingerspitzen. Dann öffne ich die Augen und sehe, wie sich ihre Handfläche glättet und sich ihre Finger abspreizen. Der Schnitt zwischen Zeige- und Mittelfinger schließt sich und ich kann spüren, wie sich zwei gebrochene Knöchel bewegen und wieder verheilen. Ella macht eine Faust, dann entspannt sie die Hand wieder.
    Ich habe getan, wozu mich Lorien auserwählt hat: Ich heile diejenigen, die es nicht verdient haben, verletzt zu werden.
    Ella dreht den Kopf nach rechts und schaut auf ihr Handgelenk, das noch immer von meinen Fingern umschlossen ist.
    »Alles in Ordnung«, sage ich. »Du bist wieder okay.«
    Sie löst ihren Kopf vom Boden und stützt sich auf die Ellbogen.
    Ich nehme sie fest in meine Arme. »Wir sind ein Team«, flüstere ich ihr ins Ohr. »Wir passen auf einander auf. Danke, dass du versucht hast, mir zu helfen.«
    Sie nickt. Ich drücke sie noch einmal, lasse dann los und sehe mich nach den anderen Mädchen um, die alle bewusstlos, aber atmend auf dem Boden liegen. Dann entdecke ich den Kasten, der aus der Öffnung der Nische herausragt.
    »Ich bin so stolz auf dich. Du hast ja keine Ahnung …«, sage ich. »Lass uns etwas ausruhen und dann holen wir ihn morgen früh.«
    »Bist du sicher?«, fragt Ella. »Ich kann noch mal hochklettern.«
    »Kommt nicht infrage. Du gehst ins Bad und wäschst dich. Ich komme sofort nach.«
    Als sie weg ist, sehe ich zu dem Kasten hoch, konzentriere mich und lasse ihn vorsichtig zu meinen Füßen herunterschweben.
    Jetzt muss ich nur noch Adelina überreden, ihn mit mir zu öffnen.

17
    Ich krache durch die brennende Tür und lande auf dem schmelzenden braunen Teppich im Wohnzimmer. Verschiedene Dinge rasen durch meinen Kopf. Sam. Henris Brief. Der Kasten. Henris Asche. In voller Absicht lasse ich

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