Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2

beschützen, wenn es sein muss, mit unserem eigenen Leben. Aber während ich hier – nur Stunden, nachdem du mich in Athens befreit hast – am Küchentisch sitze unddiese Worte schreibe, weiß ich, dass es nicht Pflicht war, die dich und mich aneinander gebunden hat, sondern Liebe. Die Liebe wird immer stärker sein als jede Verpflichtung. Die Wahrheit ist, dass mein Tod zu jeder Zeit hätte eintreten können. Es war nur eine Frage des Wann und Wie. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich mit Sicherheit heute mein Leben verloren. Wie immer die Umstände meines Todes auch ausfallen werden, du darfst dich niemals dafür verantwortlich fühlen. Ich habe nie damit gerechnet, hier zu überleben, und als wir Lorien vor all diesen Jahren verließen, wusste ich, dass ich nie zurückkehren würde.
    Ich frage mich, wie viel du mittlerweile – in der Zeit zwischen dem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, und dem Augenblick, in dem du sie liest – bereits herausgefunden hast. Du weißt jetzt sicher, dass ich eine Menge Dinge vor dir verborgen habe. Wahrscheinlich mehr, als es nötig war. Die meiste Zeit wollte ich, dass du hart trainierst und deine Konzentration nicht verlierst. Ich habe versucht, dir auf der Erde ein so normales Leben wie möglich zu bieten. Du findest diesen Gedanken wahrscheinlich lachhaft, aber wenn du die ganze Wahrheit gewusst hättest, wäre eine bereits schwierige Zeit nur noch anstrengender geworden.
    Wo soll ich anfangen? Der Name deines Vaters war Liren. Er war stark und mutig und führte ein integeres und zielgerichtetes Leben. Wie du in deinen Visionen über den Krieg gesehen hast, behielt er diese Eigenschaften bis zum Schluss bei, sogar als er schon wusste, dass der Krieg nicht gewonnen werdenkonnte. Etwas, worauf wir nur alle hoffen können – in Würde zu sterben, ehrenhaft und mutig. Zu sterben und dabei zu wissen, dass wir alles in unserer Macht Stehende getan haben. Dies war der Inbegriff dessen, was deinen Vater ausmachte. Ebenso ist es das, was dich ausmacht, auch wenn du nicht unbedingt daran glaubst.
     
    Ich setze mich auf, lehne mich an das Kopfende des Bettes und lese den Namen meines Vaters wieder und wieder. Der Kloß in meinem Hals ist zu einem Felsbrocken geworden. Ich wünschte, Sarah wäre hier, würde ihren Kopf an meine Schulter lehnen und mir Mut machen weiterzulesen. Dann konzentriere ich mich auf den nächsten Abschnitt.
     
    Als du noch ein kleines Kind warst, ist dein Vater oft vorbeigekommen, obwohl es ihm eigentlich nicht gestattet war. Er betete dich an und konnte stundenlang zusehen, wie du mit Hadley (Hast du Bernie Kosars wahre Identität mittlerweile erkannt?) im Gras gespielt hast. Auch wenn du dich wahrscheinlich nicht an viel aus deinen Kindertagen erinnerst, kann ich doch mit Sicherheit sagen, dass du ein glücklicher Junge warst. Für eine kurze Zeit hattest du eine Kindheit, wie sie alle Kinder verdienen, aber nicht alle bekommen.
    Obwohl ich erhebliche Zeit mit deinem Vater verbrachte, bin ich deiner Mutter nur einmal begegnet. Ihr Name war Lara. So wie dein Vater war sie zurückhaltend und vielleicht sogar ein wenig schüchtern. Ich erzähle dir das alles, weil ich möchte, dass du weißt, wer du bist und woher du kommst.Du stammst aus einer einfachen Familie, die nicht reich war.
    Schon immer wollte ich dir sagen, dass wir Lorien nicht verlassen haben, weil wir an diesem Tag zufällig auf dem Flugfeld waren. Wir sind dort gewesen, weil die Garde versammelt wurde. Um euch dort hinzubringen, als der Angriff erfolgte. Viele haben dabei ihr Leben gelassen. Ursprünglich sollten zehn von euch dabei sein. Aber wie du weißt, konnten nur neun mit dem Raumschiff entkommen.
     
    Tränen nehmen mir die Sicht. Ich streiche mit dem Finger über den Namen meiner Mutter. Lara. Lara und Liren. Ich frage mich, wie mein lorienischer Name einst lautete, ob er auch mit einem L begann. Ich frage mich, ob ich vielleicht eine jüngere Schwester oder einen Bruder hätte, wenn der Krieg nicht gewesen wäre. So viel ist mir genommen worden.
     
    Als ihr zehn geboren wurdet, erkannte Lorien eure tapferen Herzen, euren starken Willen, eure Barmherzigkeit. Dafür übertrug Lorien euch die Funktion, die euch für die Zukunft bestimmt ist: die Position der zehn Ältesten. Das bedeutet, dass diejenigen, die von euch überleben, eines Tages sehr viel stärker sein werden als alles, was Lorien je gesehen hat. Sogar noch stärker als die zehn ehemaligen Ältesten, von denen ihr