Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2
Feldes. Sam kann gut mit mir Schritt halten. Nach einem halben Kilometer biege ich in den Wald ab. Ich genieße es, wie die Zweige durch die Berührung mit Brust und Armen abbrechen und wie die hohen Grasbüschel über meine Jeans streichen. Ab und zu schaue ich mich um, aber Sam ist nie weiter als dreißig Meter hinter mir, springt locker über herumliegende Baumstämme und taucht unter den Ästen der Bäume hindurch. Plötzlich höre ich ein anderes Geräusch neben mir, aber bevor ich nach meinem Dolch greifen kann, flüstert Sechs mir zu, dass sie es ist. Ich kann sehen, wie ein paar Grasbüschel plattgetreten werden und folge der Spur.
Glücklicherweise wohnt Sam am Stadtrand von Paradise, wo die einzelnen Häuser durch große Abstände voneinander getrennt sind. Ich bleibe am Waldrand stehen, als sein Haus in Sichtweite kommt.
Es ist ein kleines, bescheidenes Haus mit einer weißen Aluminiumverkleidung und schwarzen Dachziegeln. Rechts aufdem Dach ragt ein schmaler Schornstein empor und ein niedriger Holzzaun umgibt das Grundstück.
Sechs materialisiert sich wieder und stellt den Kasten ab. »Ist es das?«
»Das ist es.«
Dreißig Sekunden später landet Bernie Kosar auf meiner Schulter. Weitere vier Minuten vergehen, bis Sam aus dem Gestrüpp hervorkommt und neben uns stehen bleibt. Er hat die Hände auf die Oberschenkel gelegt und ringt vornübergebeugt nach Atem. Als er sich wieder aufrichtet, schaut er zu seinem Haus hinüber.
»Wie fühlst du dich?«, frage ich.
»Wie ein Flüchtling. Oder wie der missratene Sohn.«
»Dein Vater wäre stolz, wenn er sähe, wie wir das hier durchziehen«, sage ich.
Sechs macht sich erneut unsichtbar, um die Umgebung auszuspähen. Sie überprüft die benachbarten Häuser und die in der Nähe geparkten Autos. Als sie zurückkommt, scheint die Luft rein zu sein; es gibt nur einen Bewegungsmelder am Haus auf der rechten Seite. Bernie Kosar fliegt wieder los und lässt sich auf dem höchsten Punkt des Dachs nieder.
Sechs nimmt Sam an der Hand und sie werden unsichtbar. Ich klemme mir den Kasten unter den Arm und folge ihnen bis zum Zaun auf der Rückseite. Die beiden werden wieder sichtbar und klettern nacheinander hinüber. Dann werfe ich Sechs den Kasten zu und folge ihnen.
Wir ducken uns hinter einem Strauch, während ich den Garten mit seinen Bäumen und dem hohen Gras, einen dicken Baumstumpf, eine rostige Schaukel sowie eine antike Schubkarre im Auge behalte. An der linken Seite des Hauses ist eine Hintertür, an der rechten sind zwei Fenster.
»Da ist es«, flüstert Sam und zeigt in eine Richtung.
Was ich zunächst für einen Baumstumpf gehalten habe, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als breiter Steinzylinder. Als ich die Augen zusammenkneife, erkenne ich ein dreieckiges Objekt an seiner Spitze emporragen.
»Wir sind gleich zurück«, flüstert Sechs Sam zu.
Ich reiche Sechs meine Hand und werde unsichtbar. »Okay, Adler Goode. Beschütze diesen Kasten, als ob mein Leben davon abhinge. Tut es nämlich.«
Vorsichtig gehen Sechs und ich durch das hohe Gras auf das Objekt zu. Der Kreisumfang der Sonnenuhr ist mit Nummern versehen. Eins bis Zwölf auf der linken Seite und Eins bis Zwölf auf der rechten, sowie Null oben in der Mitte. Jede Nummer ist von mehreren Strichen umgeben. Gerade will ich das in der Mitte der Sonnenuhr befindliche Dreieck fassen und probeweise herumdrehen, als ich Sechs scharf einatmen höre.
»Was ist?«, flüstere ich und schaue zu den dunklen Fenstern an der Rückseite des Hauses hinüber.
»Da in der Mitte. Sieh mal. Die Symbole.«
Ich betrachte die Sonnenuhr noch einmal genauer und muss nach Luft schnappen. Sie sind zwar undeutlich und leicht zu übersehen, aber in der Mitte des Kreises sind neun lorienische Symbole angebracht. Ich erkenne die Ziffern Eins bis Drei, weil sie den Narben auf meinem Knöchel entsprechen. Die anderen sind mir neu.
»Wann war noch mal Sams Geburtstag?«, frage ich.
»4. Januar 1995.«
Das Dreieck klickt wie ein Zahlenschloss, während ich es nach rechts zu der lorienischen Ziffer Eins bewege. Dann drehe ich es nach links und muss schlucken, als ich die vermeintliche Ziffer Vier erreiche. Meine Nummer. Danach drehe ich das Dreieck zur Eins, dann zur Neun, dann einmal ganz herum, wieder auf die Neun und schließlich auf die Fünf.
Ein paar Sekunden lang passiert gar nichts.
Dann plötzlich beginnt die Sonnenuhr zu zischen und zu qualmen. Sechs und ich treten einen Schritt zurück und
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