Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
streckte ihm die Hand entgegen.
Frederic ergriff die Hand und zog John in seine Arme. »Ich vermisse dich schon jetzt, mein Sohn. Bleib nicht zu lange fort.«
»Versprochen.« Er umarmte seinen Vater und trat dann einen Schritt zurück. »Und lass den Tabak nicht verwelken, während ich fort bin.«
Frederic musste tief Luft holen, bevor er nickte und leise lachte.
Mit frohem Herzen schloss ihn Charmaine als Nächste in die Arme. »Ich danke Ihnen, Frederic … für alles«, flüsterte sie. Doch er sah sie nur an, als ob er sagen wollte, dass er sich bedanken müsse.
»Passen Sie gut auf meine Enkeltochter auf.«
»Ich habe die Wiege am Kabinenboden festgeschraubt, damit es die kleine Prinzessin auf See bequem hat«, bemerkte George.
John versetzte dem Freund einen Klaps auf den Rücken, bevor er den Arm um Charmaine legte und mit ihr an Bord ging. Nachdem das letzte Gepäckstück verladen war, kamen die Mädchen an die Reling gerannt und winkten den Zurückbleibenden zu. Die Gangway wurde eingezogen und die ersten Segel gesetzt. Als der Wind das Tuch spannte, löste sich das Schiff langsam vom Kai. Die Mädchen hüpften davon, doch John und Charmaine blieben an der Reling stehen und sahen zu, wie sich Frederic, Paul und George abwandten und sich wieder ihrem Alltag widmeten. Weitere Segel wurden gehisst, und rasch gewann der Segler an Fahrt und durchquerte die Bucht.
Charmaine sah zu John auf. Er hatte Marie umgedreht und hielt sie vor der Brust, damit sie ihre Umgebung bestaunen konnte. Inzwischen konnte sie ihr Köpfchen halten und sah sich hellwach um. Anfangs folgten die blauen Augen den Möwen, die kreischend um die Takelage kreisten, bevor sie das schimmernde aquamarinblaue Wasser bewunderten.
Charmaine drückte Johns Arm und seufzte. Dank Fatimas guter Küche und sehr viel Ruhe hatte er sich schnell erholt und war wieder so kräftig wie vorher.
»Sei nicht traurig«, sagte John.
»Ich bin nicht traurig. Der Abschied war nicht leicht, aber seit wir unterwegs sind, freue ich mich auf dein Zuhause in Virginia und in New York.«
» Unser Zuhause«, verbesserte er.
Als das Schiff die offene See erreichte, frischte der Wind merklich auf, und die Segel bauschten sich hoch über ihren Köpfen wie riesige Kissen an den Masten. Der Wind fing sich in ihren Haaren und zerrte an den Kleidern. Jeannette und Yvette quietschten vor Begeisterung und mussten aufpassen, dass sie den Matrosen nicht ständig in die Quere kamen. Nach einiger Zeit, als nichts weiter zu sehen war als das weite Meer, wurde Marie unruhig und strampelte.
»Ich muss sie stillen«, sagte Charmaine. John grinste auf das kleine Persönchen hinunter und begleitete Frau und Tochter in ihre Kabine.
Als Paul auf sein Schiff zurückkehrte, wandte sich Frederic an George. »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, George. Und zwar möchte ich, dass Sie auf die Silver Maple Plantage nach North Carolina reisen. Sie liegt westlich von Durham und südlich von Burlington.«
Georges Neugier war geweckt. Frederic zog ein Papier aus der Tasche und reichte es ihm. »Der Besitzer heißt Maximilian Sledge. Es geht um einen seiner Sklaven namens Henry Clayton. Sie sollen diesen Sklaven kaufen, und zwar unter Ihrem Namen. Der Name Duvoisin darf in den Verhandlungen nicht erwähnt werden.«
»Und warum?«
»Mr Clayton hat eine sehr hübsche Frau, die vor Jahren freigelassen wurde und mit drei Kindern in New York lebt. Lily Clayton hat uns geholfen, Johns Leben zu retten, und ich würde mich gern bei ihr bedanken.« Die Erinnerung an Nicholas Fairheld und Hannah Fields war eine mächtige Triebfeder. Sie gehörten in eine andere Zeit, und doch waren sie ein Teil des Ganzen. Die Erkenntnis ließ Colettes lächelndes Gesicht vor ihm erstehen, und er wusste, dass Colette, wo auch immer sie war, seine Entscheidung begrüßte. Er freute sich einen kurzen Moment an dem Bild, bevor er sich wieder George zuwandte. »Es ist das Wenigste, was ich für sie und die Kinder tun kann.«
George nickte. Er kannte Lily aus der Zeit, als er vor zwei Jahren nach John gesucht hatte, um ihm Colettes Brief zu übergeben. »Und warum muss ich das machen?«
»Michael Andrews ist der Meinung, dass Mr Sledge diesen Sklaven nie an einen Mann verkaufen würde, der mit dem Norden sympathisiert. Er ist dem Süden gegenüber loyal und würde nie einen Sklaven verkaufen, wenn er befürchten muss, dass er anschließend freigelassen wird. Sledge muss glauben, dass Clayton auf einer anderen
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