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Die Macht des Geistes

Die Macht des Geistes

Titel: Die Macht des Geistes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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zu der Verteidigungszentrale im Empire State Building her. »Macht euch auf den Ernstfall gefaßt«, sagte er. »Nur noch zehn Minuten.«
    »Wie viele?«
    »Vier. Sie müssen damit rechnen, daß wir zumindest drei unschädlich machen, deshalb haben sie bestimmt wahre Ungetüme geschickt. WasserstoffLithium-Sprengköpfe, nehme ich an.«
    »Vier, wie? Okay, wird gemacht, Boß. Drücken Sie uns die Daumen.«
    »Gleichfalls.« Mandelbaum grinste verzerrt und trennte die Verbindung.
     
    Die Stadt hatte nur erfahren, daß die Lichtquelle auf dem Empire State Building zu Versuchszwecken installiert worden war. Aber als der bläuliche Schimmer stärker wurde und schließlich wie eine Lichtglocke über der Stadt lag, während gleichzeitig die Luftschutzsirenen zu heulen begannen, mußten alle die Wahrheit vermuten. Mandelbaum mochte sich nicht einmal vorstellen, was in diesem Augenblick in unzähligen Familien vor sich ging. Beteten die Menschen? Nein, das war unwahrscheinlich; falls es in Zukunft noch eine Religion gab, würde es nicht der Animismus sein, der in der Vergangenheit genügt hatte. Patriotische Begeisterung? Nein, das war ebenfalls ein Mythos, der nur in der Vergangenheit bedeutungsvoll gewesen war. Wilde Panik? Wahrscheinlich, aber nicht weiter bedeutend.
    Rossman hat die Wahrheit zumindest teilweise erkannt, überlegte Mandelbaum weiter. In dieser Stunde der Entscheidung kann der Mensch nichts anderes tun, als vor Angst zu weinen oder sich schützend über die zu werfen, die er liebt, als könne er sie dadurch vor dem Schlimmsten bewahren. Niemand könnte sich ehrlich einbilden, er sterbe für eine gute Sache. Wenn er jetzt die Faust gen Himmel hebt, geschieht es nicht aus Zorn über das Böse, sondern stellt nur einen Reflex dar.
    Leere ... Ja, dachte er, wir brauchen wirklich neue Symbole.
    Rossman stand auf und tastete sich durch das Halbdunkel zu einem Wandschrank hinüber. Er öffnete eine Tür und nahm eine Flasche aus dem Fach. »Das ist noch ein Burgunder Jahrgang zweiundvierzig, den ich mir aufgehoben habe«, sagte er. (Leisten Sie mir dabei Gesellschaft?)
    »Gern«, antwortete Mandelbaum sofort. Er machte sich nicht viel aus Rotwein, aber wenn er damit einem Freund helfen konnte ... Rossman hatte keine Angst, denn dazu war er zu intelligent, aber er wirkte trotzdem irgendwie verloren. Die Welt wie ein Gentleman zu verlassen – nun, das war eine Art Symbol.
    Rossman schenkte zwei Kristallpokale voll und stellte einen davon vor Mandelbaum auf den Tisch. Sie stießen an und tranken. Rossman schloß einen Moment lang die Augen, als wolle er den Geschmack ganz auskosten.
    »An unserem Hochzeitstag hat es auch Burgunder gegeben«, sagte er dann.
    »Deshalb brauchen Sie jetzt nicht gleich in Tränen auszubrechen«, antwortete Mandelbaum. »Die Abschirmung hält bestimmt. Sie beruht auf dem gleichen Prinzip, das die Atomkerne zusammenhält – etwas Stärkeres ist gar nicht vorstellbar.«
    »Ich habe einen Schluck auf das Wohl des ehemaligen Homo sapiens getrunken«, stellte Rossman fest. (Sie haben recht, das ist sein letztes Aufbäumen. Aber er war in vieler Beziehung ein nobles Wesen.)
    »Stimmt«, sagte Mandelbaum. (Er hat geradezu geniale Waffen erfunden.)
    »Diese Raketen ...« (Sie stellen etwas dar. Im Grunde genommen sind sie sogar schön und vor allem völlig ehrlich. Es hat viele Jahrhunderte geduldiger Forschungsarbeit gedauert, bevor sie gebaut werden konnten. Daß sie uns vielleicht den Tod bringen, tut nichts zur Sache.)
    (In diesem Punkt bin ich anderer Meinung.) Mandelbaum lächelte unwillkürlich.
    Die Uhr mit dem Leuchtzifferblatt tickte leise. Der Sekundenzeiger wanderte langsam weiter, beschrieb einen Kreis, noch einen und einen dritten. Das Empire State Building hob sich wie eine dunkle Säule vor dem leuchtend blauen Himmel ab. Mandelbaum und Rossman schwiegen und hingen ihren eigenen Gedanken nach.
    Dann zuckte ein Lichtblitz über den Himmel und ließ die blaue Abschirmung eine Sekunde lang in allen Regenbogenfarben erglühen. Mandelbaum bedeckte die Augen mit den Händen, wobei er aus Versehen sein Glas zu Boden warf. Er spürte die Lichtblitze fast wie Sonnenschein auf seiner Haut. Der Donner brach sich in den Häuserschluchten der Stadt.
    Zwei, drei, vier.
    Jetzt folgten keine Lichtblitze mehr, aber das Echo der Explosionen verhallte nur langsam. Plötzlich kam ein Wind auf, der durch die menschenleeren Straßen heulte, während die riesigen Gebäude allmählich wieder zur Ruhe

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