Die Macht des Lichts
sie vernichtete.
Es wird eine Gnade sein, flüsterte Lews Therin. Der Tod ist immer eine Gnade. Der Verrückte klang nicht ganz so verrückt wie sonst. Tatsächlich hatte seine Stimme angefangen, eine erschreckende Ähnlichkeit mit Rands eigener Stimme aufzuweisen.
Auf der nächsten Brücke blieb Rand stehen und schaute zu dem gewaltigen Palast der Stadt mit seinen weißen Mauern hinüber, die Heimat des seanchanischen Hofes. Vier Stockwerke hoch hatte er goldene Ringe an der Basis seiner vier Kuppeln und noch mehr Gold an den Spitzen der vielen Türme. Dort würde man die Tochter der Neun Monde finden können. Er würde diesen Mauern eine Reinheit geben, wie sie sie noch nie gekannt hatten. Perfektion. In gewisser Weise würde er das Gebäude in dem Moment, bevor es sich in nichts auflöste, komplettieren.
Er wickelte den Zugangsschlüssel aus, nur ein weiterer Fremder auf einer schlammverschmierten Brücke. Nach der Vernichtung des Palastes würde er schnell handeln müssen. Er würde die Schiffe im Hafen mit vielen Blitzen aus Baalsfeuer zerstören, dann würde er etwas weniger Aufwendiges dazu benutzen, um Feuer auf die Stadt regnen zu lassen, um dort Panik ausbrechen zu lassen. Das Chaos würde die Reaktion seiner Feinde verzögern. Danach würde er zu den Garnisonen am Stadttor Reisen und sie zerstören. Er hatte eine vage Erinnerung an Späherberichte über Nachschublager im Norden, die gut mit Soldaten und Proviant ausgerüstet waren. Die würde er als Nächstes zerstören.
Von dort würde er sich weiter nach Amador begeben, dann nach Tanchico und zu anderen Orten. Er würde schnell Reisen, niemals lange genug an einem Ort bleiben, damit ihn die Verlorenen einholen konnten. Ein flackerndes Licht des Todes, das wie ein brennender Holzscheit hier und dort zu neuem Leben aufflammte. Viele würden sterben, aber der größte Teil davon würden Seanchaner sein. Die Eroberer.
Er starrte den Zugangsschlüssel an. Dann ergriff er Saidin.
Die Übelkeit überfiel ihn schlimmer als je zuvor. Sie stieß ihn zu Boden wie der Schlag einer Faust. Er schrie auf und nahm kaum war, dass er auf dem Steinpflaster landete. Er stöhnte, packte den Zugangsschlüssel fester und krümmte sich darum. Seine Eingeweide schienen in Flammen zu stehen, und er drehte den Kopf, rollte auf den Schultern herum und übergab sich auf die Brücke.
Aber er hielt Saidin fest. Er brauchte die Macht. Die süße, wunderschöne Macht. Selbst der Gestank seines eigenen Erbrochenen erschien ihm wegen der darin liegenden Macht süßer und echter.
Er schlug die Augen auf. Besorgt blickende Leute versammelten sich um ihn. Eine seanchanische Patrouille näherte sich. Der Augenblick war gekommen. Er musste zuschlagen.
Aber er konnte es nicht. Die Menschen sahen so besorgt aus. So verständnisvoll. Sie interessierten sich für ihn.
Vor Ohnmacht aufschreiend erschuf Rand ein Wegetor, was die Leute entsetzt zurückspringen ließ. Stolpernd kam er auf die Füße und warf sich auf allen vieren hinein, während die seanchanischen Soldaten die Schwerter zogen und fremde Worte riefen.
Rand landete auf einer großen schwarz-weißen Steinscheibe, und die Luft um ihn herum war ein Nichts aus Dunkelheit. Das Portal schloss sich hinter ihm und schnitt den Zugang nach Ebou Dar ab, dann setzte sich die Scheibe in Bewegung. Sie schwebte durch das Nichts, angestrahlt von einem seltsamen Licht im Hintergrund. Rand krümmte sich auf der Scheibe zusammen, den Zugangsschlüssel fest an sich gedrückt, und nahm tiefe Atemzüge.
Warum kann ich nicht stark genug sein? Er vermochte nicht zu sagen, ob das sein Gedanke oder der von Lews Therin gewesen war. Beide waren gleich. Warum kann ich nicht das tun, was ich tun muss?
Die Scheibe reiste eine Weile. Der einzige Laut im Nichts war sein Atmen. Die Scheibe sah aus wie eines der Siegel am Gefängnis des Dunklen Königs; eine Schlangenlinie in der Mitte trennte Weiß und Schwarz. Rand lag direkt darauf. Die schwarze Hälfte nannte man Drachenzahn. Für die Menschen war es ein Symbol des Bösen. Der Vernichtung.
Aber Rand war eine notwendige Vernichtung. Warum hatte ihn das Muster so unbarmherzig angetrieben, wenn er nicht vernichten sollte? Zuerst hatte er sich bemüht, jedes Töten zu vermeiden - aber das hatte nicht funktionieren können. Dann hatte er sich dazu verpflichtet, nach Möglichkeit keine Frauen zu töten. Das hatte sich als unmöglich erwiesen.
Er war die Vernichtung. Das musste er bloß akzeptieren.
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