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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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daß ich sein Plädoyer nicht hätte unterbrechen sollen. Aber als ich die Tür öffne, bereit mich wieder zu verteidigen, springt Nathaniel an mir hoch. »Mom!« ruft er und drückt mich so fest, daß ich rückwärts taumele. »Mom, wir sind raus aus dem Motel!«
    Â»Wirklich?« sage ich, und dann wiederhole ich es über seinen Kopf hinweg in Calebs Richtung. »Wirklich?«
    Er stellt beide Reisetaschen auf den Boden. »Ich dachte, jetzt wäre der richtige Augenblick, um nach Hause zu kommen«, sagt er leise. »Falls es dir recht ist?«
    Inzwischen hat Nathaniel die Arme um unseren Golden Retriever geschlungen, und Mason dreht und wendet sich, um jeden Quadratzentimeter Haut abzulecken, den er finden kann. Sein dicker Schwanz klopft auf den Boden, ein freudiger Trommelwirbel. Ich weiß, wie sich der Hund fühlt. Jetzt erst – als wieder Menschen um mich sind – merke ich, wie einsam ich gewesen bin.
    Also lasse ich mich gegen Caleb sinken, schiebe meinen Kopf unter sein Kinn, so daß ich seinen Herzschlag hören kann. »Mehr als recht«, antworte ich.

Der Hund war ein atmendes Kissen unter mir. »Wo ist eigentlich Masons Mom?«
    Meine Mutter saß auf der Couch und las Papiere mit ganz vielen kleinen Wörtern drauf. Sie blickte auf und sagte: »Die ist … irgendwo.«
    Â»Wieso lebt sie nicht hier bei uns?«
    Â»Masons Mutter gehörte einem Züchter in Massachusetts. Sie hatte zwölf Welpen, und von denen haben wir uns Mason ausgesucht.«
    Â»Meinst du, er vermißt sie?«
    Â»Zu Anfang wahrscheinlich schon«, antwortete sie. »Aber das ist lange her, und jetzt ist er hier bei uns glücklich. Ich wette, er erinnert sich gar nicht mehr an sie.«
    Ich fuhr mit dem Finger über Masons lakritzschwarze Lefzen, über seine Zähne. Er blinzelte mich an.
    Ich wette, sie hat sich geirrt.

9
    Â»Willst du noch Milch?« fragt Nathaniels Mutter.
    Â»Ich hab schon einen Teller Haferflocken gegessen«, erwidert sein Vater.
    Â»Ach so.« Sie will die Milch zurück in den Kühlschrank stellen, doch sein Vater nimmt sie ihr aus der Hand. »Ich glaub, ich nehm noch ein bißchen.«
    Sie sehen einander an, und dann tritt seine Mutter mit einem komischen, verkrampften Lächeln zurück. »Klar«, sagt sie.
    Nathaniel schaut sich das Ganze an wie einen Zeichentrickfilm – und er weiß, daß irgendwas nicht ganz real oder richtig ist, und doch völlig gebannt.

    Quentin hatte sich die ganze Nacht auf dieser gottverfluchten Matratze hin und her gewälzt und sich gefragt, was um alles in der Welt die Geschworenen so lange zu bereden hatten. Kein Fall war hundertprozentig klar, aber Himmelherrgott, hier hatten sie den Mord sogar auf Video. Und trotzdem berieten die Geschworenen seit gestern nachmittag, seit gut vierundzwanzig Stunden, und es war noch kein Ende abzusehen.
    Entnervt geht Quentin vor dem Geschworenenzimmer auf und ab – und plötzlich stößt er mit seinem Sohn zusammen, der gerade um die Ecke biegt. »Gideon?« Einen Moment lang bleibt Quentin fast das Herz stehen. »Was machst du denn hier?«
    Der Junge zuckt die Achseln, als wüßte er das selbst nicht so genau. »Das Basketballtraining ist heute ausgefallen, und da dachte ich, ich schau mal vorbei und seh mir die Sache mal an.« Seine Trainingsschuhe quietschen auf dem Boden. »Der Blick von der anderen Seite und so.«
    Langsam breitet sich ein Lächeln auf Quentins Gesicht aus, und er klopft seinem Sohn auf die Schulter. Zum erstenmal in den zehn Jahren, die Quentin Brown nun in Gerichten ein und aus geht, hat es ihm die Sprache verschlagen.

    Sechsundzwanzig Stunden; 1560 Minuten; 93 600 Sekunden. Ganz gleich, welche Zeiteinteilung, das Warten nimmt kein Ende. Was machen die denn so lange?
    Als die Tür aufgeht, wird mir schlagartig klar, daß der Moment, in dem man begreift, daß eine Entscheidung gefallen ist, noch schlimmer als Warten ist.
    Ein weißes Taschentuch erscheint, gefolgt von Fisher.
    Â»Ist es soweit?« Das Sprechen fällt mir schwer. »Haben die Geschworenen sich geeinigt?«
    Â»Noch nicht.«
    Mit weichen Knien sinke ich auf den Stuhl zurück, als Fisher mir das Taschentuch zuwirft. »Soll das schon mal die Vorbereitung auf den Schuldspruch sein?«
    Â»Nein, meine Kapitulation. Das mit gestern tut mir leid.« Er sieht mich an. »Obwohl ich eine

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