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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ergreifend die Wahrheit.«
    Ich deute auf Quentin. »Ich weiß das, weil ich eine Kollegin von Mr. Brown war, also Staatsanwältin. Und die Wahrheit verirrt sich nicht gerade häufig in eine Gerichtsverhandlung. Da ist auf der einen Seite die Anklagevertretung, die Sie mit Fakten bombardiert. Und auf der anderen Seite die Verteidigung, die mit Gefühlen dagegenhält. Die Wahrheit will keiner hören, weil sie der persönlichen Interpretation unterliegt, und sowohl Mr. Brown als auch Mr. Carrington fürchten, Sie könnten die Wahrheit falsch deuten. Aber heute will ich sie Ihnen sagen.
    Die Wahrheit ist, ich habe einen furchtbaren Fehler gemacht. Die Wahrheit ist, an jenem Morgen war ich nicht die Frau, die nur von dem Gedanken an Selbstjustiz getrieben wurde, wie Mr. Brown Sie glauben machen möchte, und ich war auch nicht die Frau, die einen Nervenzusammenbruch hatte, wie Mr. Carrington Sie glauben machen möchte. Die Wahrheit ist, ich war Nathaniels Mutter, und das war plötzlich wichtiger als alles andere.«
    Ich stelle mich direkt vor die Geschworenenbank. »Was würden Sie tun, wenn Ihre Frau oder Ihr bester Freund bedroht würde oder überfallen worden wäre? Wo ist die Grenze? Wir lernen, daß wir uns zur Wehr setzen sollen; wir lernen, daß wir die Menschen schützen sollen, die wir lieben und für die wir uns verantwortlich fühlen. Doch auf einmal zieht das Gesetz eine neue Grenze. Und es sagt: Legt die Hände in den Schoß, wir kümmern uns um alles . Dabei wissen Sie, daß das Gesetz völlig unzulänglich ist – daß es Ihr Kind traumatisieren wird, daß es einen Straftäter nach ein paar Jahren wieder laufenläßt. So kümmert sich das Gesetz um Ihre Probleme, denn in den Augen des Gesetzes ist das moralisch Richtige oft falsch … und das moralisch Falsche kein Grund, nicht doch so gut wie ungestraft davonzukommen.«
    Ich lasse den Blick über die Geschworenenbank wandern. »Vielleicht wußte ich, daß das Rechtssystem für meinen Sohn nicht funktionieren würde. Vielleicht nahm ich sogar an, daß ich ein Gericht davon überzeugen könnte, unzurechnungsfähig zu sein, auch wenn ich es nicht war. Ich wünschte, ich könnte das mit Sicherheit sagen – aber eines habe ich gelernt, daß wir nämlich nicht mal einen Bruchteil von dem wissen, was wir zu wissen meinen. Und am allerwenigsten wissen wir über uns selbst.«
    Ich drehe mich zum Zuschauerraum um und sehe erst Caleb, dann Patrick an. »Sie alle, die Sie dasitzen und mich für das verdammen, was ich getan habe: Woher wollen Sie wissen, daß Sie nicht das gleiche getan hätten? Wir alle tun tagtäglich irgendwelche Kleinigkeit, damit die Menschen, die wir lieben, nicht verletzt werden – wir greifen zu einer Notlüge, legen einen Sicherheitsgurt an, nehmen einem Freund, der zuviel getrunken hat, die Autoschlüssel weg. Aber ich habe auch schon von Müttern gehört, die plötzlich die Kraft hatten, ein Auto hochzuheben, unter dem ihr Kind eingeklemmt war. Ich habe von Männern gelesen, die sich im Kugelhagel schützend vor die Frau geworfen haben, ohne die sie nicht leben konnten. Waren diese Menschen deshalb verrückt … oder waren sie gerade in solchen Momenten klar bei Verstand?« Ich runzle die Stirn. »Ich kann das nicht beurteilen. Aber an jenem Morgen, als ich Pater Szyszynski im Gerichtssaal erschoß, wußte ich ganz genau, was ich tat. Und gleichzeitig war ich vollkommen verrückt.« Ich öffne flehend die Hände. »So kann man sein, wenn man liebt.«

    Quentin steht auf, um ein letztes Mal zu kontern. »Ein Jammer für Mrs. Frost, daß es in diesem Land keine zwei Rechtssysteme gibt – eines für Menschen, die meinen, sie wüßten alles, und ein anderes für alle übrigen.« Er blickt die Geschworenen an. »Sie haben gehört, was Sie gesagt hat – es tut ihr nicht leid, daß sie einen Menschen getötet hat … es tut ihr leid, daß sie den falschen getötet hat. In letzter Zeit sind schon genug Fehler gemacht worden«, sagt er müde. »Bitte machen Sie nicht noch einen.«

    Als es an der Tür klingelt, denke ich, es könnte Fisher sein. Seit wir den Gerichtssaal verließen, hat er kein Wort mit mir gesprochen, und die drei Stunden, die die Geschworenen jetzt schon beraten, scheinen ihm recht zu geben,

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