Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Staat Maine zweifelsfrei nachgewiesen hat, daß Pater Szyszynski einem Verbrechen zum Opfer fiel.« Er breitet die Hände aus. »Nun, das haben Sie alle auf dem Videoband gesehen. Zweitens müssen Sie der Überzeugung sein, daß es die Angeklagte war, die Pater Szyszynski getötet hat. Auch daran besteht in diesem Fall kein Zweifel. Und schließlich müssen Sie der Überzeugung sein, daß die Angeklagte Pater Szyszynski mit Vorsatz getötet hat. Das ist ein großes Wort, ein Wort aus der Rechtsprechung, aber Sie alle wissen, was es bedeutet.«
    Nach einer kurzen Pause fährt er fort: »Als Mrs. Frost Ihnen gestern erzählt hat, daß sie in dem Augenblick, als sie Pater Szyszynski die Waffe an den Kopf hielt, dachte, sie müsse den Priester, um ihren Sohn zu schützen, daran hindern, den Gerichtssaal lebend zu verlassen – da hat sie selbst zugegeben, daß sie mit Vorsatz handelte.«
    Quentin geht zurück zum Tisch der Verteidigung und zeigt auf Nina. »In diesem Prozeß geht es nicht um Emotionen, in diesem Prozeß geht es um Fakten. Und die Fakten sind die, daß ein Unschuldiger tot ist, daß diese Frau ihn getötet hat und daß sie glaubte, ihr Sohn habe eine bevorzugte Behandlung verdient, die nur sie ihm geben könne.« Er dreht sich ein letztes Mal zu den Geschworenen um. »Lassen Sie ihr keine bevorzugte Behandlung zukommen.«

    Â»Ich habe zwei Töchter«, sagt Fisher und steht neben mir auf. »Die eine ist in der High School, die andere auf dem College.« Er lächelt die Geschworenen an. »Ich bin vernarrt in die beiden, und ich bin sicher, auch Sie lieben Ihre Kinder über alles. Und auch Nina Frost liebt ihren Sohn Nathaniel über alles.« Er legt mir eine Hand auf die Schulter. »Aber an einem ganz normalen Morgen mußte Nina einer furchtbaren Wahrheit ins Auge sehen: Jemand hatte ihren kleinen Sohn vergewaltigt. Und Nina mußte noch einer zweiten furchtbaren Wahrheit ins Auge sehen – sie wußte als Staatsanwältin besonders gut, wie verheerend sich ein Gerichtsprozeß auf das fragile emotionale Gleichgewicht ihres Sohnes auswirken würde.«
    Er geht auf die Geschworenen zu. »Das Ganze war eine Tragödie. Verschlimmert dadurch, daß Pater Szyszynski gar nicht der Mann war, der den kleinen Nathaniel mißbraucht hatte. Aber am dreißigsten Oktober glaubte die Polizei, daß er der Täter war. Die Staatsanwaltschaft glaubte das. Nina Frost glaubte das. Und an jenem Morgen glaubte sie auch, daß sie keine andere Möglichkeit hatte. Was an jenem Morgen geschah, war keine vorsätzliche, bösartige Tat, sondern eine verzweifelte. Die Frau, die Sie auf dem Videoband gesehen haben, wie sie den Priester erschoß, war Nina Frost, aber sie war in dem Moment nicht in der Lage, sich zu kontrollieren.«
    Als Fisher Atem schöpft, um mit der Definition des Begriffs »unzurechnungsfähig« zu beginnen, stehe ich auf. »Verzeihung, aber ich würde das Plädoyer gern selbst beenden.«
    Er wendet sich um, völlig überrascht. »Sie wollen was ?«
    Ich warte, bis er ganz nah bei mir ist, und flüstere: »Fisher, ich schaffe das schon.«
    Â»Sie vertreten sich hier nicht selbst!«
    Â»Ich bin aber dazu in der Lage.« Ich blicke zu dem Richter und zu Quentin Brown hinüber, dem förmlich der Unterkiefer runtergeklappt ist. »Darf ich näher treten, Euer Ehren?«
    Â»O ja, ich bitte darum«, sagt Richter Neal.
    Wir marschieren zur Richterbank, Fisher und Quentin rechts und links von mir. »Euer Ehren, ich halte das, was meine Mandantin vorhat, nicht für ratsam«, sagt Fisher.
    Â»Da gibt’s einiges, worüber sie nachdenken sollte«, murmelt Quentin.
    Der Richter reibt sich die Stirn. »Ich denke, Mrs. Frost weiß besser als andere Mandanten, was auf dem Spiel steht. Fahren Sie fort.«
    Einen peinlichen Moment lang umkreisen Fisher und ich einander. »Wenn Sie unbedingt in Ihr Unglück rennen wollen«, murmelt er schließlich und geht zu seinem Stuhl. Ich trete vor die Geschworenen, fühle mich wieder sicher, wie ein alter Seebär, der wieder das Deck eines Schiffes betritt. »Hallo«, beginne ich leise. »Sie wissen ja inzwischen alle, wer ich bin. Jedenfalls haben Sie jede Menge Erklärungen gehört, warum ich heute hier bin. Aber eines haben Sie noch nicht gehört, nämlich schlicht und

Weitere Kostenlose Bücher