Die Macht
in einem Kriegsgebiet groß geworden. Hier wurde einem schon in frühester Kindheit beigebracht, nichts aufzuheben, was irgendwo herumlag, Fremden gegenüber immer misstrauisch zu sein und sofort die Polizei zu rufen, wenn einem irgendetwas ungewöhnlich vorkam. Der Feind war mitten unter ihnen, und es verging kein Tag, an dem einem das nicht bewusst war. Wenn man unachtsam wurde, konnte es einem so ergehen wie den tausenden Opfern, die dieser Krieg seit dem Bestehen des kleinen Landes schon gefordert hatte.
Freidman stieg aus dem Wagen und ließ die Aktentasche bei seinen Männern zurück. Er trug eine helle Hose und ein weites kurzärmeliges Hemd, das, wie immer, die Pistole verdeckte, die in seinem Gürtelholster im Rücken steckte. Zwei Sicherheitsbeamte geleiteten ihn zum Aufzug und fuhren mit ihm zum Büro des Ministerpräsidenten hinauf. Freidman sprach mit niemandem ein Wort, als er durch das äußere Büro in das fensterlose Konferenzzimmer trat. Er setzte sich auf einen der Stühle und trommelte mit seinen dicken Fingern auf die glänzende Tischplatte.
Einige Augenblicke später kam David Goldberg herein und setzte sich. Der ehemalige General der israelischen Armee war heute Chef der konservativen Likud-Partei. Das israelische Volk hatte in seiner Mehrheit genug davon gehabt, dass die Arbeiterpartei Yassir Arafat immer mehr entgegenkam. Goldberg war auf einer Welle der nationalen Einigkeit in das Amt des Regierungschefs getragen worden – mit dem Auftrag, die gewalttätigen Palästinenser in die Schranken zu weisen. Das war es, was Goldberg in seinem Wahlkampf versprochen hatte und auch einzuhalten gedachte – und er war klug genug, um zu wissen, dass er dazu die Unterstützung von Ben Freidman brauchte.
Goldbergs breites braun gebranntes Gesicht war von dünnem weißem Haar umrahmt. Von seiner Statur wies er eine gewisse Ähnlichkeit mit Winston Churchill auf; er war korpulent, aber nicht muskulös. Hätte man unter seine Kleider blicken können, so hätte man den Körper eines pummeligen Babys gesehen. Dies mochte auf den ersten Blick als Schwäche erscheinen – doch alle, die ihn näher kannten, wussten, dass er einen scharfen Verstand und jede Menge Mumm in den Knochen hatte. Er hatte sich im Yom-Kippur-Krieg auf dem Schlachtfeld hervorgetan. Nie hatte er den verabscheuungswürdigen Überfall von Israels arabischen Nachbarn an einem der heiligsten Tage des jüdischen Jahres vergessen.
Die Regierungen hatten in Israel während der vergangenen beiden Jahrzehnte oft gewechselt und dabei ein Friedensabkommen nach dem anderen geschlossen, die allesamt scheiterten. Und immer dann, wenn wieder einmal ein Versuch fehlschlug, Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu stiften, übertrug das Land Goldbergs Partei die Führung. So wie einst Churchill wurde auch er nur dann gebraucht, wenn die Dinge nicht zum Besten standen.
Goldberg strich seine Krawatte glatt und ließ seine Hand auf dem Bauch ruhen. »Also«, sagte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, »erzählen Sie mir, wie es Ihnen mit den Amerikanern ergangen ist.«
Freidman hatte darauf verzichtet, Goldberg sofort nach seinem Treffen mit dem Präsidenten anzurufen. Er wusste nur zu gut über die Möglichkeiten der NSA Bescheid und zog es deshalb vor, persönlich Bericht zu erstatten. »Der Empfang war nicht gerade herzlich, aber ich glaube, dass wir unser Ziel erreichen werden.«
Goldberg wusste Präsident Hayes’ harte Linie gegen den Terrorismus durchaus zu schätzen, doch er traute dem Mann trotzdem nicht so recht. In dem einen Jahr, das er nun im Amt war, hatte Hayes immer wieder deutlich gemacht, dass er sich nicht von der jüdischen Lobby gängeln ließ. Goldberg wusste nur zu gut, wie wichtig die amerikanischen Juden für Israel waren. »Warum der kühle Empfang?«, wollte Goldberg wissen.
»Ich glaube, es hat Präsident Hayes nicht gefallen, dass ich und nicht Sie selbst zu ihm gekommen sind.«
»Er wird doch verstehen, dass es nicht anders ging.«
»Wie gesagt, nachdem ich ihnen berichtet hatte, auf was wir gestoßen sind, hat sich die Haltung der Amerikaner geändert.«
»Wie hat der Präsident reagiert?«
Freidman grinste, als er an das angespannte Gesicht des Präsidenten dachte. »Er war nicht sehr erfreut.«
Goldberg fand diese Gespräche mit Freidman ziemlich mühsam. Der Mann erzählte nie einfach alles, was passiert war. Man musste ihm jede Kleinigkeit förmlich aus der Nase ziehen. »Was hat er
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