Die Macht
Geheimen agiert, dass der jeweilige Direktor nur dem Ministerpräsidenten und seinem Kabinett bekannt war. Doch die Zeiten hatten sich geändert, und in den Neunzigerjahren hatte der Mossad zunehmend unter den wechselnden politischen Strömungen zu leiden. Der Geheimdienst verlor seine Anonymität, sodass seine Leitung eine immer heiklere Aufgabe wurde. Ben Freidmans Name war regelmäßig in den Zeitungen zu lesen, und sein Bild erschien oft genug im Fernsehen. Jeder halbwegs intelligente Terrorist hätte ihn mit Leichtigkeit wiedererkannt und ihm eine Kugel in den Kopf jagen können.
Die Säuberungen, denen der Mossad in den Neunzigerjahren unterzogen wurde, hatten Freidman gelehrt, allen Politikern zu misstrauen. Er fühlte sich nur seinem Land und dem Mossad verpflichtet. Der Ministerpräsident und all die anderen Politiker mit ihrem ewigen Hickhack konnten ihm gestohlen bleiben; mit ihren ständigen Einmischungen wäre es ihnen beinahe gelungen, den erfolgreichsten Geheimdienst der Welt zu zerschlagen. Von 1951 bis 1990 hatte der Mossad nur sechs Direktoren gehabt, doch in den turbulenten Neunzigerjahren hatten nicht weniger als vier Männer den Posten innegehabt. Die fehlende Kontinuität an der Spitze des Geheimdienstes wirkte sich katastrophal auf das Anwerben neuer Mitarbeiter und die Moral innerhalb des Mossad aus. Dennoch hatte Ben Freidman den Posten bereitwillig übernommen, als er vom jetzigen Ministerpräsidenten ernannt wurde.
Freidman wusste etwas, das seinen vier Vorgängern offensichtlich verborgen geblieben war; um den erfolgreichsten Geheimdienst der Welt zu leiten, musste man wie ein Diktator agieren und nicht wie ein Politiker. Und um ein Diktator sein zu können, brauchte man Macht. Freidman war des Öfteren in den USA gewesen und hatte von Anfang an eng mit der CIA zusammengearbeitet, um gemeinsam den Terrorismus zu bekämpfen. Er erfuhr dabei, dass sich die CIA schon viel früher als der Mossad an die politischen Spielchen hatte anpassen müssen. Washington war durch und durch von der Politik dominiert – und Thomas Stansfield hatte ihm gezeigt, wie man in einem solchen Umfeld trotzdem erfolgreich arbeiten konnte.
Stansfield hatte immer klar gemacht, dass sich seine Agency nicht für Politik interessierte. Er entwickelte schlagkräftige Einheiten außerhalb der herkömmlichen Strukturen, damit er operieren konnte, ohne dass es die Politiker im Kongress überhaupt mitbekamen. Außerdem begann er sein reiches Informationsmaterial gegen all jene Politiker einzusetzen, die seiner Agency schaden wollten. Die meisten Politiker in Washington waren sich bewusst, dass die CIA einen schmutzigen Job zu erfüllen hatte, und mischten sich nicht weiter in ihre Arbeit ein – doch es gab immer wieder Opportunisten, die den Geheimdienst angriffen, um sich selbst zu profilieren oder ihrer Partei zu nützen. Stansfield legte Akten über all jene an, die ihn bekämpften, und schaffte es so, sich seine Feinde vom Leib zu halten.
Freidman hatte die Erfahrung gemacht, dass die Politiker in Israel nicht anders waren. All jene, die nach höheren Ämtern strebten, waren irgendwann in ihrer Vergangenheit oder vielleicht sogar immer noch in Dinge verwickelt, die nicht an die Öffentlichkeit dringen sollten. Freidman sammelte solche Informationen als eine Art Versicherung gegen den Ministerpräsidenten und die Opposition. Nachdem er sich auf diese Weise abgesichert hatte, konnte er sich seiner eigentlichen Aufgabe widmen – dem Kampf gegen die Terroristen, die geschworen hatten, Israel von der Landkarte zu tilgen.
Es war ein angenehm warmer und sonniger Vormittag in Tel Aviv. Der Verkehr war nicht allzu stark, sodass sich die Limousine rasch ihrem Ziel, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, näherte. Der Chauffeur meldete ihr Kommen über Funk; die Sicherheitskräfte beim Amtssitz überprüften daraufhin die Umgebung nach irgendwelchen Hinweisen auf einen möglichen Anschlag und funkten dann zurück, dass die Luft rein war. Als der gepanzerte Wagen wenig später vorfuhr, waren die massiven Barrieren, die normalerweise die Zufahrt zur Tiefgarage versperrten, im Boden versenkt, und vier Personen patrouillierten mit Uzi-Maschinenpistolen, um die Umgebung zu sichern.
Der Mercedes fuhr in die Tiefgarage, worauf die Barriere hinter ihm sofort wieder hochging. All diese Sicherheitsmaßnahmen waren hier in Israel etwas so Selbstverständliches, dass man sie gar nicht mehr bewusst wahrnahm. Schließlich war man mitten
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