Die Mädchenwiese
Laura.
Rolf nickte energisch. »Ja, ich will sie sehen!«
»Das geht nicht«, entgegnete der Arzt. »Im Augenblick wird sie noch einigen Untersuchungen unterzogen. Sobald die abgeschlossen sind, gebe ich Ihnen Bescheid. Doch ich warne Sie: Keine weitere Aufregung. Ihre Tochter braucht ab sofort Ruhe. Unbedingt Ruhe. «
Er lächelte kurz. Dann machte er kehrt und eilte durch die Schleuse zurück zur Intensivstation. Sie ist stabil. Laura hatte das Gefühl, eine Zentnerlast fiele von ihr ab.
»Habe ich das gerade richtig verstanden?«, fragte jemand hinter ihr. »Ihre Tochter ist wieder auf dem Weg der Besserung?«
Laura drehte sich um. »Herr Jäger?«
Vom Haus der alten Kirchberger bis in den Wald waren es nur wenige Meter. Als schwieriger erwies sich die Suche nach dem Bunker.
»Hey, Mann«, murrte Paul verzweifelt, während sie durch das Unterholz irrten, »hast du eine Ahnung, wie viele Jahre vergangen sind?«
»Trotzdem müssen wir ihn finden«, rief Alex, der einige Meter vorausrannte.
»Glaubst du denn wirklich …?«
»Was glaubst denn du ?«
»Immerhin ist es Ben«, stöhnte Paul, »er ist unser Freund.«
Alex blieb stehen. »Aber mir habt ihr die Morde zugetraut?«
Er wartete nicht auf die Antwort, sondern setzte sich wieder in Bewegung. Grimmig hielt er die Taschenlampe umschlossen, die sie aus Pauls Wagen mitgenommen hatten. Wiederholt schlug er damit Äste beiseite, die ihm ins Gesicht klatschten. Immer wieder versank er im Schlamm. Oder stolperte über Wurzeln, die sich unter Laub und Moos verbargen. Paul schloss zu ihm auf. »Kannst du dich an den Joint erinnern? Den wir damals in der Butze geraucht haben.«
»Natürlich, darüber haben wir doch die Tage erst geredet.« Alex blickte zum Himmel hinauf. Die Sonne verschwand hinter einem Schwall Wolken. »Wir müssen dort entlang.«
»Bist du sicher?«
»Nein.« Alex stürmte Richtung Süden.
Paul keuchte dicht hinter ihm. »Und weißt du, wie wütend Ben damals war?«
»Ja.«
»Ich glaube, es war das erste Mal, dass wir uns bei dir in Finkenwerda getroffen haben.«
»Kann sein. Weiß nicht. Beeil dich lieber.«
Paul rang nach Atem. »Doch, das war es. Das erste Mal im Dorf. Und jetzt …«
»Vorsicht!« Alex duckte sich, um einem vorstehenden Ast auszuweichen.
Paul krachte dagegen. Er heulte auf, als das Holz gegen seine wunde Nase donnerte. Er hielt sich die Hand vors Gesicht, während er versuchte, mit Alex Schritt zu halten. »Ich glaube nicht, dass wir richtig sind.«
Alex hetzte weiter. Ein Specht klopfte, eine Eule schien sie mit ihrem Ruf zu verspotten.
»Damals haben wir dem Trip die Schuld für Bens Verhalten gegeben«, sagte Paul.
»Ein schlechter Trip.«
»Für Ben muss das ein verdammt mieser Trip gewesen sein – ein Trip zurück in die Vergangenheit.«
Alex hielt Ausschau nach vertrauten Merkmalen. »Ich glaube, wir sind falsch.«
»Hey, Mann, das versuch’ ich dir schon die ganze …«
»Nein, warte!«, rief Alex und eilte auf etwas zu, das zwischen Steinen und Ästen versteckt lag. »Was ist das?«
»Ein Stofffetzen. Von einem Kleid.«
Alex lief sofort weiter. Stöhnend folgte ihm Paul. Doch je tiefer sie in den Wald vordrangen, umso weniger Hoffnung hatten sie. Es waren tatsächlich viel zu viele Jahre vergangen, als dass sie sich noch an den alten Weg hätten erinnern können. Ein Baum sah aus wie der nächste und irgendwie auch wieder nicht. Es war, als irrten sie durch eine völlig fremde Welt. Sie würden den Bunker niemals wiederfinden.
»Hier!«, drang plötzlich Pauls Stimme aufgeregt durch den Wald. »Hier ist es!«
Laura blickte in das besorgte Gesicht des Clubbetreuers. »Herr Jäger«, wiederholte sie, weil ihr nichts anderes einfiel.
»Ich wollte hören, wie es Ihrer Tochter geht«, sagte er.
»Das ist nett von Ihnen.«
»Die Kinder im Club haben viel darüber gesprochen, und sie machen sich große Sorgen.« Jäger stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Aber wenn es Lisa jetzt wieder bessergeht, kann ich sie beruhigen. Es wird sie freuen, das zu hören.«
»Ja«, sagte Laura und hielt Ausschau nach ihrem Mann. Rolf stand ein paar Meter entfernt. Er telefonierte. Sein Bruder trat aus dem Treppenhaus in den Krankenhausflur und eilte auf sie zu.
»Bist du dir sicher, dass es die richtige Nummer ist?«, fragte er wütend. »Ich kann ihn nicht erreichen, nicht einmal orten.«
»Sie sind sicherlich Lisas Onkel«, sagte Jäger. »Ich bin …«
»Ich weiß, wer Sie sind«, fiel Frank
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