Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Maenner vom Meer - Roman

Titel: Die Maenner vom Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Hansen
Vom Netzwerk:
dich gelehrt, so listig mit Worten umzugehen?«
    »War es listig, was ich sagte?« fragte sie verschmitzt.
    Gegen Abend tauchte hinter einer Biegung der große Stein auf, der unterhalb von Bosis Hof am Ufer lag. Grau und mächtig thronte er auf seinem Spiegelbild, umgeben von Leere. Denn wo zuvor Schilf, Gestrüpp und Wald gewesen waren, dehnten sich jetzt bis ans Wasser hinunter grüne Wiesen. Weiter oben lagen Häuser; mehr als zwanzig zählte Björn. Aus dem Hof war ein Dorf geworden, und auch dieses sollte Bosis Namen tragen.
    »Willst du, daß wir anlegen, Vater?«
    »Ich kehre nicht gern an einen Ort zurück, an den mich nichts mehr bindet als Erinnerungen. Ich will ihn so im Gedächtnis behalten, wie er war, als mein Vater noch lebte.«
    »Dein Bruder Tore ist ein großer Mann geworden.«
    »Das mag sein«, sagte Björn. »Doch nur einer von Bosis Söhnen kann sich rühmen, daß er sich die Gunst zweier Könige erwarb.«
    Bald gelangten sie zu der Stelle, wo sich die Förde am Fuß des Steilufers zu einer schmalen Fahrrinne verengt. Sie fanden sie durch einen herabgestürzten Baum versperrt. Während die Männer darangingen, ihn aus dem Weg zu räumen, fiel Björns Blick auf einen Raben, der nur wenige Schritte entfernt am Ufer hockte. Sein Gefieder war zerzaust und mehr grau als schwarz, und sein Schnabel war schartig wie ein altes Schwert. Als er merkte, daß Björn ihn wahrgenommen hatte, stieß er ein heiseres Krächzen aus, hob mit trägem Flügelschlag vom Boden ab und ließ sich ein Stück weiter auf einem Stein nieder. Daran erkannte Björn, daß es Hugin war, denn so hatte ihn der Rabe schon einmal in Gris des Weisen Höhle gelockt.
    Er watete an Land und folgte Hugin. Der Rabe führte ihn hüpfend und flatternd auf einem kaum noch erkennbaren Pfad am Uferhang empor, dann durch dichtes Gebüsch. Etwas ließ Björn plötzlich stocken. Er blickte sich um, und nun wußte er, was seinen Schritt gehemmt hatte: Er stand vor dem Versteck, wo Vagn ihn einst aufgespürt hatte. Er sah ihn wieder mit erhobenem Speer hinter sich stehen, sah Vagns Gesicht, die Eiszapfen in seinem Bart.Die Erinnerung weckte in ihm keine Gefühle mehr. Er hatte Vagn getötet, und mit Vagns Tod war auch sein Haß erloschen.
    Vom Rand des Steilufers blickte er zur Burg hinüber. Die Palisadenwand ähnelte einem Kamm mit ausgebrochenen Zähnen; durch die Lücken zwischen den Stämmen schimmerte das Wasser. Nichts deutete darauf hin, daß die Burg bewohnt war, und als er noch etwas näher heranging, sah er, daß die Hütten bis zum Erdboden niedergebrannt waren.
    Eine Hand berührte seine Schulter. »Komm, Vater. Wir können weiterfahren.«
    »Gris der Weise hat seinen Raben nach mir ausgeschickt«, sagte Björn. »Er will, daß ich zu ihm komme.«
    »Du träumst, Vater. Als du mir von Gris erzähltest, war er schon ein uralter Mann. Er muß längst gestorben sein.«
    »So wäre es ein Toter, der mich zu sich ruft, und mir stünde eine Begegnung bevor, von der nicht viele erzählen können, Tochter. Geh also zum Schiff zurück und warte dort auf mich.«
    »Ich werde dich begleiten«, erwiderte Vigdis, und sie sagte es so, daß Björn es nicht der Mühe wert fand, sie umzustimmen.
    Es fing schon an, dunkel zu werden, als sie zu Gris' Höhle gelangten. Die Eschenwurzel war in sich zusammengesunken und von hohem Farnkraut umwuchert, der Eingang ein dunkles Loch, gerade groß genug, daß Björn sich bäuchlings hindurchzwängen konnte.
    Eine schwüle, stickige Luft schlug ihm entgegen. Inmitten der Finsternis tanzten winzige Flammen auf einem Holzscheit. Allmählich nahm Björn außer ihnen noch anderes wahr. Er sah bleiche Pflanzen, die von der Decke herabhingen, Pilze unterschiedlicher Art und Größe, einen Haufen Unrat. Gris den Weisen sah er nicht. Doch nun geschah es, daß sich der Unrat zu bewegen begann und die Gestalt des Alten annahm. Mit einem zärtlichen Schnalzlaut schwang sich der Rabe auf seine Schulter.
    »Ist gut, Hugin, ist gut«, flüsterte Gris.
    Er glich einem verwitterten Baum. Das zerlumpte Gewand, die Arme, das Haar: alles war mit einer dünnen Moosschicht bedeckt.Zwischen seinen Fingern wuchs Gras, sein Bart war mit Schlingpflanzen durchflochten. Auch bewohnte ihn mancherlei Getier; Björn sah Spinnen, Käfer und Würmer, und in seinem verfilzten Haar nistete ein kleiner Vogel.
    »Ich wußte, daß ich dich noch einmal sehen würde, ehe ich ganz vermodert bin, Björn Bosison«, sagte Gris. »Aber du kommst nicht

Weitere Kostenlose Bücher