Die Maenner vom Meer - Roman
Wolkenbank entpuppen. Als sie aber näher herankamen, traten hier und dort dunkle Zacken aus ihm hervor, und bald sahen sie seltsam geformte Berge, sahen Türme aus dunklem Gestein, an denen die Gischt leckte, und ihre Augen labten sich am zarten Grün windgeschützter Senken. Zu ihrem Schrecken bemerkten sie jedoch, daß die Strömung ihre Richtung änderte und das Land nach Backbord auswanderte. Thormod wählte unter seinen Männern jene aus, die noch imstande waren, einen Riemen zu handhaben, und beschwor sie, um ihr Leben zu rudern. Die Angst, am Land vorbei wieder auf das offene Meer hinausgetrieben zu werden, verlieh ihnen ungeahnte Kräfte; sie ruderten, bis sie ohnmächtigzusammenbrachen und andere, darunter Thormod selbst, ihre Plätze einnahmen. So gelangten sie in eine vor der Küste stehende Gegenströmung und von dieser in einen schmalen, vielfach gewundenen Fjord.
In der Nähe eines Wasserfalls gingen sie an Land. Da war eine Sandbank, und zwischen dieser und der Felswand wuchsen dicke Grasbülten. Die Männer warfen sich auf den Erdboden und schliefen sogleich ein. Keiner von ihnen vermochte später zu sagen, wie lange sie geschlafen hatten, als sie durch das Blöken einer Schafherde geweckt wurden. Die Schafe waren nicht zu sehen, aber das Echo ihrer Stimmen pendelte zwischen den Felswänden hin und her. Nun bemerkten sie einen Mann, der über ihnen auf einem Felsvorsprung saß. Er trug einen Mantel, der so grau war wie der Fels, und von gleicher Farbe waren sein Haar und sein Bart. Auf seinen Knien lag ein langer Stab. Nachdem er Thormod und seine Männer eine Weile beobachtet hatte, hob der Mann den Stab und richtete ihn auf Thormod. »Komm her und laß uns ein wenig miteinander reden«, sagte er.
Von ihm erfuhren sie, daß sie zu den Schafsinseln gelangt waren, deren Bewohner sich teils vom Fischfang und den Eiern der Seevögel, teils vom Fleisch jener Tiere ernährten, die den Inseln ihren Namen gegeben hatten. Vor wenigen Menschenaltern erst seien sie von Norwegen herübergekommen, weil sie sich nicht unter das Joch Harald Schönhaars hätten beugen wollen. Aber nun habe sich einer der ihren zum Herrscher über seine Landsleute gemacht, und dieser, Trönduri Göta mit Namen, gebärde sich schlimmer als der norwegische König. Er selbst, sagte der Mann, sei nur ein kleiner Bauer, aber auch von ihm fordere Tröndur so hohe Abgaben, daß ihm kaum etwas zum Leben bleibe.
»Ich hoffe, daß du uns trotzdem etwas zu essen geben kannst«, sagte Thormod.
»Ihr seid viele«, antwortete der Mann, »und ihr seht hungrig aus. Soll ich meine Leute darben lassen, damit ich euch beköstigen kann?«
»Ich würde dafür bezahlen, falls es deinen Stolz nicht verletzt«, sagte Thormod.
Er ließ einige Walroßzähne vom Schiff holen und zeigte sie dem Mann. Dieser betrachtete sie flüchtig und meinte, mit Walroßzähnen pflege er sein Dach zu decken, denn sie seien auf den Schafsinseln leichter zu bekommen als Holz. Nun breitete Thormod ein Bärenfell vor ihm aus. Der Mann befühlte es, roch an ihm, wendete es um und um und sagte dann: »Ich werde ein Seil herablassen, und du wirst das Fell daran festbinden, und wenn das geschehen ist, werde ich euch ein Schaf herunterwerfen. Aber versuch nicht, mich zu betrügen, Fremder. Dort oben liegen viele Felsbrocken herum, und meine Söhne sind ebenso stark wie treffsicher.« Damit stand er auf und kletterte neben dem Wasserfall an der Felswand empor.
Am Abend aßen sie zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder gebratenes Fleisch, nachdem es Karhu auf geheimnisvolle Weise gelungen war, ein Feuer zu entfachen. Als sie gesättigt waren, fielen sie abermals in tiefen Schlaf. So verbrachten sie auch die folgenden Tage: Sie wachten auf, um zu essen, und kaum daß sie ihren Hunger gestillt hatten, übermannte sie bleierne Müdigkeit. Allmählich gelangten sie wieder zu Kräften und begannen, die Umgebung zu erkunden. Sie fanden heraus, daß sie nahe der Nordspitze einer großen, gebirgigen Insel an Land gegangen waren. Die Berggipfel waren kahl und zerklüftet, einige von ihnen ragten in die Wolken empor. Am Fuß der Berge erstreckte sich eine grüne, von zahlreichen Bächen durchflossene Ebene. Die Männer sahen keine Menschen, aber sie spürten, daß sie auf Schritt und Tritt beobachtet wurden.
Eines Nachts klatschte ein großer Felsbrocken in das Wasser; die Wellen überfluteten die Sandbank bis dorthin, wo die Männer lagen. Erschrocken fuhren sie aus dem Schlaf. Keiner
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