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Die Maenner vom Meer - Roman

Titel: Die Maenner vom Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Hansen
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Gesichter waren ausgemergelt, von Schmutz und schwärenden Wunden bedeckt; einigen waren Nasen und Ohren abgefroren, anderen die Finger, fast allen waren die Zähne ausgefallen, so daß sich ihre Lippen tief nach innen wölbten. Statt sie zu töten, hatte der Winter Thormod und seine Männer zu tapsigen, halbblinden, seibernden Greisen gemacht. Und als sie einander nun aus schmalen Augenschlitzen betrachteten, regte sich in manchem der Gedanke, daß dies von allen Grausamkeiten, die ihnen der Winter zugefügt hatte, die schlimmste war.
    Eines Morgens war das Eis verschwunden. Thormod, selbst vor Schwäche taumelnd, trieb seine Männer zur Eile an. Sie rollten das Schiff auf Baumstämmen in das Wasser, schoben es zwischen den Uferfelsen hindurch aus der Bucht und kletterten mit letzter Kraft an Bord. Hedin wriggte das Schiff aus dem Windschatten der Küste und überließ es dann dem ablandigen Wind, es auf das Meer hinauszutreiben. Thormod befahl, das Segel zu setzen, und als er sich heiser geschrien hatte, ohne daß dies etwas gefruchtet hatte,trat er die an Deck umherliegenden Männer so lange mit Füßen, bis sie sich murrend an die Arbeit machten.
    Hedin ging nun auf westlichen Kurs, während Björn und Hemmo sich aufrafften, das Wasser aus dem Laderaum zu schöpfen, das sprudelnd durch die Fugen zwischen den ausgetrockneten Planken eindrang.
    Noch am selben Tag machte ihnen der Meeresgott einen Seehund zum Geschenk. Er lag auf einer Eisscholle; der abgebrochene Schaft einer Harpune ragte aus einem seiner Augen hervor. Karhu sprang mit einem gewaltigen Satz auf die Eisscholle hinüber; dort klemmte er sich den toten Seehund zwischen die Schenkel, zerlegte ihn mit geübten Schnitten und warf die Fleischstücke auf das Deck, wo sich die Männer, unversehens aus totenähnlicher Starre zum Leben erwacht, um sie zu raufen begannen. Aber Thormod jagte sie mit der Axt auseinander und drohte, jedem den Schädel einzuschlagen, der sich hinreißen lasse, seinen Hunger auf Kosten der anderen zu stillen.
    Die meisten der Männer vertrugen das fette und halbgefrorene Fleisch nicht, zumal sie es, weil sie keine Zähne mehr besaßen, unzerkaut hinunterschlucken mußten. Sie erbrachen sich, aßen das Erbrochene wieder und fuhren so fort, bis sie das Fleisch, inzwischen halbwegs verdaut, in sich behielten.
    Mehrere Tage lang segelten sie zwischen der Küste und dem Eis nach Westen. Dann wurden sie von einer Strömung erfaßt, die sie bei abflauendem Wind auf das offene Meer hinaustrieb. Hedin riet, aus der Strömung zu rudern, da diese, wie er von seinen Landsleuten wisse, stärker werde, je weiter man sich von ihr treiben lasse; überdies ändere sie mehrfach ihre Richtung, so daß ungewiß sei, wohin sie das Schiff tragen werde. Doch Thormod winkte ab und sagte: »Mag uns die Strömung treiben, wohin sie will; solange sie uns vom Eis fortbringt, soll mir alles recht sein.«
    Jeden Abend, wenn der Sonnenball ins Meer tauchte, rief Thormod den Meeresgott um seinen Beistand an. Obwohl Njörd als ein Gott galt, der sich mit beschwörenden Worten allein nicht zufriedengab,sorgte er für gleichmäßigen Wind, der das Segel schwellte, ohne dem notdürftig zusammengefügten Schiff den Beweis seiner Seetüchtigkeit abzuverlangen. Zudem ließ er riesige Dorschschwärme ihren Kurs kreuzen, so daß Torkel Hakenlachs einen Fisch nach dem anderen aus dem Wasser zog. Ihren Durst stillten die Männer mit Regenwasser, das sie in den Mulden ihrer Fellsäcke auffingen.
    »Sobald wir an Land kommen, werde ich Njörd ein Dankopfer bringen«, sagte Thormod, den die Gunstbeweise des wankelmütigen Gottes mit Besorgnis zu erfüllen schienen.
    »Du könntest ihm schon jetzt einige Schwertklingen opfern«, schlug Björn vor.
    »Sieh mich an«, erwiderte Thormod. »Als ich ausfuhr, war ich ein stattlicher Mann, jetzt bin ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Sieh dir mein Schiff an, es ist ein Wrack, bemannt mit einem Haufen kraftloser Gespenster. Von allem, was ich besaß, sind nur die Schwertklingen übriggeblieben; jede von ihnen ist einen fetten Hammel wert oder auch zwei. Es wäre demnach wider alle Vernunft, auch nur eine einzige von ihnen ins Meer zu werfen.«
    Eines Tages, als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, zeigte sich voraus ein dunkler Streifen über der Kimm. Die Männer krochen zur Reling und starrten auf das glitzernde Meer. Flüsternd versicherten sie einander, der Streifen werde sich, wie schon so oft, als eine

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