Die Männer von Bravo Two Zero
auch er hatte eine olivgrüne Uniform an und war tadellos gekleidet – keine Stiefel, sondern Schuhe und ein frisch gebügeltes Hemd. Stabsoffiziere erkennt man auf Anhieb, ganz gleich, welcher Armee sie angehören.
Der Major schenkte mir keinerlei Beachtung; er
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blätterte nur irgendwelche Papiere durch, offenbar die von der Übergabe, und machte hin und wieder mit einem Federhalter eine Randnotiz. Dann sagte er in einem wunderschönen Nachrichtensprecher-Englisch:
»Wie geht es dir, Andy? Geht es dir gut?«
Er sah mich nicht an, sondern widmete sich weiter
seinen Unterlagen. Er war Mitte Dreißig und trug eine Brille mit Halbgläsern, so daß er den Kopf nach hinten neigte, um lesen zu können. Er hatte den typischen Saddam-Schnauzer und makellos gepflegte Hände.
»Ich glaube, ich brauche ärztliche Behandlung.«
»Erzähl uns doch noch einmal, warum du im Irak bist, ja?«
»Wie ich schon gesagt habe, wir gehören einem Suchund Rettungsteam an. Der Hubschrauber mußte runter, man hat uns gesagt, wir müßten raus, und dann ist er wieder abgeflogen und hat uns zurückgelassen.«
»Wie viele wart ihr in dem Hubschrauber, kannst du dich daran erinnern? Macht nichts, wenn du es im
Moment nicht kannst. Zeit ist etwas, das eure Sanktionen nicht beeinflußt haben.«
»Ich weiß nicht. In dem Hubschrauber ging der Alarm los. Man hat uns gesagt, wir müßten raus, und dann war nur noch Chaos. Ich bin nicht ganz sicher, wie viele dringeblieben sind und wie viele draußen waren.«
»Ich verstehe. Wie viele von euch waren im
Hubschrauber?«
Er sprach so herablassend mit mir wie ein Lehrer mit einem Schüler, von dem er ganz genau weiß, daß er lügt
– den er aber noch etwas zappeln lassen will, bevor er 358
gesteht.
»Ich weiß es nicht. Es war dunkel, als wir an Bord gegangen sind. Manchmal sind es nur vier, manchmal zwanzig. Wir kriegen nur gesagt, wann wir einsteigen und wann wir aussteigen sollen. Es geht immer ganz schnell. Ich wußte nicht, wo es hinging und was wir machen sollten. Ehrlich gesagt, interessiert es mich eigentlich auch nicht. Ich achte nicht großartig darauf.
Sie behandeln uns wie den letzten Dreck, wir sind eben nur die Soldaten, die die Arbeit machen.«
»Na schön. Also wie lautete dein Auftrag, Andy? Du mußt deinen Auftrag kennen, der wird bei der
Befehlserteilung ja immer wiederholt.«
Es ist in der britischen Armee üblich, einen
Einsatzbefehl zu wiederholen. Ich war verblüfft, daß er das wußte. Wenn er sich mit den Regeln der britischen Armee so gut auskannte, war er sicherlich eine Zeitlang in Großbritannien ausgebildet worden.
»Ich weiß wirklich nicht, wie mein Auftrag genau
lautete«, sagte ich. »Es heißt immer nur: Geht hierhin, geht dorthin, macht dies, macht das. Ich weiß, wir sollten unseren Auftrag eigentlich kennen, aber die Hälfte der Zeit sagt man uns nicht, was los ist, es läuft völlig chaotisch ab.«
Meine Gedanken überschlugen sich. Ich bemühte
mich, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Ich hörte diesem Typen zu und versuchte zugleich, mich zu
erinnern, was ich bereits gesagt hatte und was ich in Zukunft sagen wollte. Das Problem war nur, ich war kaputt, ich war hungrig, ich war durstig. Der Bursche saß 359
da ganz bequem und zufrieden, als hielte er nur ein Pläuschchen. Er war körperlich wesentlich fitter als ich.
»Also, was solltet ihr tun, sobald ihr im Hubschrauber wart?«
»Wir sind alle aus verschiedenen Regimentern
abgezogen worden, um dieses Rettungsteam zu bilden.
Wir sind noch nicht lange zusammen, kommen aus
verschiedenen Gegenden. Wir sind noch keine richtigen Teams. Hören Sie, wir sind hier, um Leben zu retten, nicht um Leben zu nehmen. Zu den Leuten gehören wir nicht.«
»Hmmm.«
Der Oberst hatte mich die ganze Zeit angestarrt, seit man mir die Augenbinde abgenommen hatte. Jetzt
meldete er sich in einem passablen Englisch zu Wort.
»Wo ist der Offizier, dem du unterstellt bist?«
Ich war froh über diese Frage. Im irakischen System gibt es sogar auf der untersten Stufe einen Offizier mit Befehlsgewalt; für sie war es Gott sei Dank
unbegreiflich, daß ein Stoßtrupp ohne Offizier im Einsatz war. Ich hatte mich ahnungslos und verstört gegeben, und vielleicht waren sie darauf reingefallen. Jetzt wollten sie den Offizier, den Mann, der Bescheid wußte. Ich
beschloß, den im Stich gelassenen Soldaten zu mimen.
»Ich weiß nicht, es war dunkel. Er war plötzlich nicht mehr da. Er ist bestimmt im
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