Die Männer von Bravo Two Zero
Saddam.
»Weißt du, wer das ist?«
Ich zögerte, wie wenn einem auf einer Party nicht
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mehr der passende Name zu einem Gesicht einfällt, und sagte dann: »Ja, das ist Saddam Hussein. Präsident Hussein.«
»Genau. Was hast du über ihn gehört?«
Was sollte ich sagen? Etwa: »Ich habe einiges über ihn gehört. Ich habe gehört, daß er sich prima darauf versteht, Kampfgas gegen Frauen und Kinder im Iran
einzusetzen?«
»Ich weiß, daß er ein mächtiger Mann ist, ein starker Führer.«
»Das stimmt. Unter seiner Führung werden wir euch
Westler bald los sein. Wir haben keine Zeit für euch. Wir brauchen euch nicht.«
Er sagte das ohne Erregung; er sprach noch immer im Plauderton.
Ich aß den Reis auf und fiel über die Tomaten her. Ich hatte große Mühe, sie zu essen, weil mein Mund so
geschwollen und taub war. Es war ein Gefühl wie nach einer Betäubungsspritze beim Zahnarzt, wenn man etwas trinken möchte und es läuft einem am Kinn runter, weil man keine Kontrolle hat. Ich aß schmatzend und
unbeholfen, schlabberte, und Tomatensaft lief mir übers Kinn. Die Tomaten schmeckten himmlisch, doch ich
bedauerte, daß ich wegen der Wunden in meinem Mund nicht richtig kauen konnte, um den ganzen Geschmack herauszuziehen. Auch das Brot war ein Problem. Ich schluckte es einfach in großen Stücken hinunter, ohne zu kauen. Es war mir egal; ich wollte möglichst schnell alles aufessen, hatte Angst, daß sie sich irgendwas einfallen lassen würden, noch bevor ich fertig war.
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Der Oberst schälte eine Apfelsine, während er mir
zusah. Im Gegensatz zu der Schimpansenfütterung auf dem Teppich tat er das mit ausgemachter Eleganz. Er schnitt die Schale sorgfältig mit einem kleinen Messer ein und schälte die Viertel nacheinander ab. Dann löste er die einzelnen Orangenschnitzel heraus.
Die Frucht war ihm auf einem bemalten Porzellanteller auf einem Tablett serviert worden, mit Silberbesteck.
Einer eindeutigen Hierarchie folgend, kamen Soldaten mit einer Teekanne und bedienten die beiden Burschen, die einfach nur dasaßen.
Hin und wieder nahm der Oberst ein Stück Apfelsine und steckte es sich in den Mund. Unten auf dem Teppich schlürfte und sabberte sein Gefangener. Der Schöne und das Biest.
Mein Magen freute sich, aber ich war nicht nur wegen des Essens froh: Solange ich aß, stellten sie mir keine Fragen. Ich hatte Zeit zum Nachdenken.
Natürlich legte man mir, als ich fertig war, wieder die Handschellen an, und wir setzten unser Gespräch an der Stelle fort, wo wir abgebrochen hatten. Er redete nach wie vor so, als hätten wir uns bereits darauf geeinigt, daß die Ausrüstung, die sie nach dem ersten Feindkontakt an der MSR gefunden hatten, uns gehörte.
»Also, Andy, dann erzähl mir mal etwas mehr über die Ausrüstung. Was hattet ihr noch dabei? Los, wir
brauchen deine Hilfe. Schließlich haben wir dir auch geholfen.«
»Es tut mir leid, ich bin ganz durcheinander. Ich
verstehe nicht.«
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»Wieso hattet ihr Sprengstoff dabei?«
Sein Tonfall war noch immer nicht aggressiv.
»Wir hatten keinen Sprengstoff. Ich weiß wirklich
nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Andy, ihr hattet offensichtlich vor, irgend etwas zu zerstören, weil ihr PE4 mithattet, ein hochexplosiver Sprengstoff, der nun mal zum Zerstören gedacht ist.
Verstehst du, daß ich dir deine Geschichte nicht abkaufen kann?«
Daß er PE4 erwähnte, war ein weiterer Hinweis
darauf, daß er in Großbritannien ausgebildet worden war, doch ich ging nicht darauf ein. »Ich weiß wirklich nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Weißt du, ein paar von deinen Leuten liegen bei uns im Krankenhaus.«
Das saß. Ich bemühte mich, weder schockiert noch
überrascht zu wirken; ich durfte auf keinen Fall mit irgendwelchen Schurken von der MSR in Verbindung
gebracht werden.
»Wer sind sie?« fragte ich. »Wie ist ihr Zustand?«
Meine Gedanken überschlugen sich. Wer konnte es
sein? Was konnten sie erzählt haben? Bluffte er nur?
»Sie sind okay, sie sind okay.«
»Vielen Dank, daß Sie sich um sie kümmern. Unsere
Armee würde das gleiche für eure Verwundeten tun.«
Falls wirklich welche von uns bei ihnen im
Krankenhaus lagen, so bedeutete das, daß sie ein
Interesse daran hatten, sie am Leben zu lassen.
»Ja«, sagte er beiläufig, »wir wissen alles. Ein paar von deiner Gruppe sind im Krankenhaus. Aber es geht 366
ihnen gut. Wir sind keine Wilden, wir kümmern uns um unsere Gefangenen.«
Ja, ich weiß, dachte ich –
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