Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
Wenn ein schönes Mädchen vorübergeht, wird ein Sizilianer Ihnen sagen, sie sei
mafiosa
; ist es ein frühreifer Junge, wird er Ihnen sagen, er sei
mafioso
. Man spricht von der Mafia in allen möglichen Zusammenhängen. Aber, meine Herren Senatoren, mir scheint, man übertreibt […].
Innenminister Mario Scelba bei einer Rede im Senat
am 25. Juni 1949
Die sizilianische Antimafia-Bewegung im eigentlichen Sinn entstand Anfang der 1980er Jahre, in den Monaten nach der Ermordung des Carabinieri-Generals Carlo Alberto Dalla Chiesa. Ein frühes Beispiel für den militanten Kampf gegen die Mafia ist das Centro Impastato, das als Dokumentationszentrum kurz vor der Ermordung Giuseppe Impastatos in Cinisi von Umberto Santino gegründet wurde. Das Centro hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Mafia zu erforschen und Daten und Informationen zur Cosa Nostra zu sammeln. Ohne das Centro Impastato, das entscheidenden Anteil an der Aufklärung des Verbrechens an Giuseppe Impastato hatte (vgl. Kap. 75), wäre dieser Mann wohl als Terrorist und Selbstmörder in die Geschichte eingegangen – so wie es Mafia und Ordnungshüter gern gehabt hätten.
Es folgte die Gründung der Associazione Coordinamento Antimafia in Palermo, die sich 1987 maßgeblich an der erbitterten Polemik nach Erscheinen von Leonardo Sciascias Artikel »I professionisti dell’Antimafia« (»Die Antimafia-Karrieristen«; im
Corriere della Sera
vom 10. 1. 1987) beteiligte. In Catania gründete der Journalist Pippo Fava die Zeitschrift
I siciliani
, der Redemptoristen-Pater Nino Fasullo in Palermo die Zeitschrift
Segno
. Bürgermeister von Palermo war damals Leoluca Orlando, der mit der Democrazia Cristiana brach und mit seinem politisch bunt gemischten Gemeinderat den Antimafia-Initiativen den Weg ebnete. Es schien, als wäre die Stadt aus ihrer Trägheit und Gleichgültigkeit erwacht.
Nach Rückschritten und gewissen Ermüdungserscheinungen Ende der achtziger Jahre gewann die Antimafia-Bewegung nach der
strage di Capaci
– der Ermordung Falcones, seiner Frau und seiner fünf Leibwächter – erneut an Kraft, schwächte sich aber von Jahr zu Jahr immer weiter ab. Heute zeigt sie sich bisweilen als äußerst zaghaft: eine Antimafia, die nur Fassade ist, konformistisch und ohne Sinn für das, was tatsächlich geschieht. Diese Antimafia ist sehr weit entfernt von dem mutigen Engagement des Priesters Don Luigi Ciotti, der Mitte der neunzigerJahre die Bewegung
Libera
mit mehr als tausendfünfhundert Vereinen, Gruppen und Schulen in ganz Italien ins Leben rief: Menschen, die nicht nur reden, sondern etwas tun. Sie verwalten zahlreiche vom Staat enteignete Güter der Mafiabosse. Sie bebauen die Weizenfelder, die Totò Riina weggenommen wurden, sie bewirtschaften die Olivenhaine Matteo Messina Denaros und die Weinberge der Familie Brusca aus San Giuseppe Jato in der Provinz Palermo.
85. Was tut die Pseudo-Antimafia?
Sie schwafelt, statt zu argumentieren, und sie hat nichts begriffen; sie ist zu bequem, um die Fakten zu prüfen, sie differenziert nicht, sondern wirft alles in einen Topf. Sie ist streitsüchtig und bisweilen opportunistisch und pocht nur dann auf Rechtsstaatlichkeit, wenn sie ihren eigenen Zielen zugute kommt. Sie berauscht sich an abgedroschenen Phrasen und vorgefertigten Sätzen und nimmt als selbstverständlich hin, was ganz und gar nicht selbstverständlich ist. Ihr Weltbild ist schwarzweiß, während Sizilien in Wirklichkeit ein riesiger grauer Fleck ist. Sie marschiert auf, mahnt, feiert Gedenktage und tut, als hätte sie die Wahrheit für sich gepachtet. Sie hört nicht zu, weil sie ohnehin nicht verstehen will. Aus der Geschichte der Mafia zieht sie keine Lehren, denn sie weiß ja ohnehin schon alles. Diese Antimafia spielt letztlich das Spiel der Mafia.
Ein Zwischenfall vor ein paar Jahren lässt uns diese konformistische Antimafia besser verstehen: Eines Tages tauchten an den Mauern der Kathedrale und der Fakultät für Architektur in Palermo zwei großformatige Graffiti auf. Sie zeigten Fahndungsfotos von Matteo Messina Denaro, dem untergetauchten Boss der Cosa Nostra aus der Provinz Trapani, dazu den Schriftzug »L’ultimo«, der Letzte, und das Dollarzeichen. Sofort begann der übliche Zirkus der Pseudo-Antimafia-Bewegung. Bei Polizei und Staatsanwaltschaft gingen Strafanzeigen gegen diejenigen ein, die sich erlaubt hatten, den Mafiaboss aus Trapani zu »verklären«, so der Ausdruck. Carabinieri und Polizei begannen –
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