Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
Mafiakreisen nachsagte und der wenige Jahre später in Palermo wegen seiner Verbindungen zur Mafia vor Gericht gestellt wurde. Ein Paradox? Ja, und dieses Paradox kennzeichnet Italien. Giulio Andreotti hat sich vor Gericht stets mit dem Verweis auf die »strengen Antimafia-Gesetze« seiner Regierung verteidigt. Viele widersprechen und argumentieren, der Senator auf Lebenszeit könne diese Maßnahmen nicht als sein Verdienst reklamieren, da sie von seinen Ministern durchgesetzt wurden.
In jenem Jahr 1991 leitete Giovanni Falcone seit gut zwölf Monaten die Direktion für Strafsachen beim Justizministerium in Rom. Auf seinen Vorschlag hin begannen Scotti und Martelli Anfang April in aller Heimlichkeit damit, Maßnahmen, Gesetze und Richtlinien gegen die Mafia zu erarbeiten. Erwogen wurde auch eine Haftverschärfung für verurteilte Mafiosi, die späterals Paragraph 41b ins Strafvollzugsgesetz Eingang fand. Alle diese Bestimmungen erhielten, wie gesagt, erst nach dem Attentat auf Falcone Gesetzeskraft. De facto sind und bleiben sie jedoch zusammen mit dem Rognoni-La Torre-Gesetz die entschlossenste, umfassendste und wirksamste Regierungsinitiative zur Bekämpfung der Mafia.
84. Wann entstand die Antimafia?
Die Antimafia entstand zu einem Zeitpunkt, als sie noch gar nicht »Antimafia« hieß und der Kampf gegen die Mafia ein Kampf um das Land und das Wasser eines durstigen Sizilien war: ein Kampf um Gerechtigkeit und ums Überleben. Die Pioniere der Antimafia waren die
Fasci siciliani
Ende des 19. Jahrhunderts, das erste Beispiel einer modernen Gewerkschaftsbewegung auf der Insel. Bauern, Tagelöhner und Bergarbeiter aus den Schwefelminen im Inselinnern waren die Protagonisten eines Aufstands, der vom damaligen italienischen Ministerpräsidenten, dem Sizilianer Francesco Crispi, blutig niedergeschlagen wurde. Soldaten und mafiose Feldhüter, die
campieri
, schossen Seite an Seite auf die demonstrierenden Massen. Zwischen 1891 und 1894 wurden mehr als hundert sizilianische Bauern und Bergarbeiter getötet.
Auch fünfzig Jahre später, als fünfhunderttausend Bauern die großen Ländereien besetzten, sprach man noch nicht von einer Antimafia. Grundbesitzer und Regierungsvertreter schossen auch diesmal auf die »Aufständischen«. Es waren die Jahre der Massaker an Gewerkschaftern, zu denen Placido Rizzotto, Accursio Miraglia und Salvatore Carnevale gehörten. Am 1. Mai 1947 kam es zum ersten Blutbad des republikanischen Italien, als in Portella della Ginestra elf Menschen getötet und siebenundzwanzig verletzt wurden. Einige Führer dieser Bauernbewegung wurden zur Legende, unter ihnen Girolamo Li Causi und Pio La Torre, der spätere Vorsitzende der sizilianischen Kommunistischen Partei, der Jahre später, 1982, von den Corleonesern getötet wurde.
Der Begriff Antimafia ging im Dezember 1962 in den allgemeinenSprachgebrauch über, als dreißig Abgeordnete und Senatoren einen Parlamentsausschuss zur Untersuchung des »Phänomens der Mafia in Sizilien« ins Leben riefen. Dieser erste Antimafia-Ausschuss nahm seine Tätigkeit zu der Zeit auf, als der noch junge Salvo Lima – ein Anhänger des damaligen christdemokratischen Ministerpräsidenten Amintore Fanfani und Schützling des Ministers Giovanni Gioia – Bürgermeister von Palermo und als Vito Ciancimino, der in der Gunst des Ministers Bernardo Mattarella stand, Baustadtrat war.
Die Tätigkeit des Ausschusses endete nach dreizehn Jahren mit einem Bericht der Mehrheit und einem Bericht der Minderheit. Im Kern erzählen die Dokumente dieses Gremiums bereits die ganze Geschichte der Mafia des westlichen Sizilien. Sie enthalten die Namen und Zunamen der wichtigsten Akteure, von denen wir vielen Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre wiederbegegnen. Ihre Kinder und Enkelkinder stehen im Zentrum auch der jüngsten polizeilichen und strafrechtlichen Ermittlungen zur Cosa Nostra. Der Kampf gegen die Mafia wurde in den 1960er und 1970er Jahren von den Kräften der politischen Opposition vorangetrieben, insbesondere von der Kommunistischen Partei. Die Regierungsparteien, allen voran die Christdemokraten (Democrazia Cristiana), waren seit dem Zweiten Weltkrieg auf allen Ebenen immer wieder in die Geschehnisse verstrickt.
Meine Herren Senatoren, wenn man nach Palermo kommt oder sich auch nur mit jemandem aus der Provinz Palermo trifft, kommt man schon nach wenigen Minuten unweigerlich auf die Mafia zu sprechen: Die Mafia beherrscht das Gespräch auf allen Ebenen.
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