Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Obwohl er sich anscheinend gewandelt hatte, vertraute sie Diederich nicht. Unter anderen Umständen hätte sie ihn sogar gebeten, nach Gabriel zu schauen. Aber was, wenn er doch wieder trank? Dann würde er dem Kleinen vielleicht etwas antun. Nein, sie würde selbst nach Gabriel sehen, und zwar schon bald.
Die kleine Sophie weckte Alena noch vor dem Sonnenaufgang. Benommen vom Schlaf, holte sie das Mädchen aus dem Körbchen und legte es an ihre Brust. Mit jedem Schmatzer, den Sophie von sich gab, wuchs in Alena die Sehnsucht nach ihrem eigenen Kind. Mit einem Mal überfiel sie tiefe Sorge. Etwas stimmte nicht, das spürte sie. Wendig wie eine Katze sprang sie aus dem Bett.
Mergh bestrich den Wecken fingerdick mit Butter und biss genüsslich hinein. Noch nie hatte Gotthardt für ihren herzhaften Appetit am Morgen Verständnis aufbringen können. Außer etwas verdünntem Bier bekam er im Gegensatz zu seiner Mutter bis zum Mittag nichts hinunter.
»Nun schau doch nicht so betreten, Junge. Alles ist in bester Ordnung.«
»Da bin ich mir nicht sicher. Wirklich nicht. Was, wenn die Herren im Rat dem Roder die gefälschten Rechnungen zeigen?« Die Kette, die sich um Gotthardts Hals gelegt zu haben schien, wog schwer.
»Warum sollten sie das tun? Glaub mir, von denen nimmt keiner die Mühe auf sich und geht nach Melaten, um einen lebenden Toten zu befragen.« Mergh rülpste und lehnte sich mit dem Wecken in der Hand in ihren Stuhl.
Gotthardt hätte ihr das Gebäck am liebsten aus der Hand geschlagen. Wie konnte seine Mutter nur so ruhig bleiben? Noch während er seinen Gedanken und Sorgen nachhing, trat Änni in das Speisezimmer und kündigte Besuch an. Auf ihrem Gesicht lag das Lächeln einer Irren.
Gleich nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, schritt Gülich durch die Tür und knallte einen Stapel Papier auf den Tisch. »Gefälscht!«, stieß er hervor. »Euer Kopf steckt in der Schlinge, Crosch.«
Die Rechnungen! Gotthardts leerer Magen knurrte. Er hatte es gewusst! Solange die Dämonenbrut nicht beseitigt war, würde sich nichts zum Guten wenden.
»Redet keinen Unsinn!«, mischte sich seine Mutter ein. »Die Rechnungen sind von Roder ausgestellt und von meinem Sohn bezahlt worden. Ich kann es bezeugen.«
»Der Steinmetz behauptet etwas anderes.« Gülich nahm den Hut vom Kopf.
»Der Sieche steckt doch mit Euch im Bunde.« Vor Wut schnaubend, warf Mergh den Wecken auf ihren Teller. »Außerdem zählt das Wort eines lebenden Toten nicht.«
»Ihr fühlt Euch im Recht?« Ein süffisantes Lächeln umspielte Gülichs Lippen. »Wartet nur ab! Die Anklage folgt auf dem Fuße, das dürft Ihr mir glauben.«
In Gedanken sah Gotthardt sich bereits am Galgen baumeln. Kopflos sprang er auf und eilte aus dem Haus.
Alena zwang sich zur Ruhe. Bestimmt war alles in Ordnung, und nur die Ereignisse der letzten Tage brachten sie so durcheinander. Dennoch, sobald sie am Abend die Kleider der Siechen gewaschen hatte, würde sie sich vom Hof schleichen. Iven würde sie in ihre Pläne nicht einweihen, denn nie und nimmer würde er sie gehen lassen.
Auf ihrem Rücken schlummerte friedlich die kleine Sophie. Das Gewicht des Mädchens spürte sie kaum, und sie kam mit der Arbeit gut voran. Trotzdem zogen sich die Stunden bis zum Abend schier endlos dahin, und Alenas Unruhe steigerte sich ins Unerträgliche. Schließlich warf sie den Schlegel in den Bottich, raffte die Röcke und verließ, ohne weiter darüber nachzudenken, den Leprosenhof.
Die Luft über der Straße Richtung Köln flirrte in der Abendsonne, und am Wegesrand bogen sich die Köpfe des Klatschmohns im lauen Wind. Alena war froh, den Siechenmantel nicht angelegt zu haben. Schnurstracks schritt sie auf die Mauern der Stadt zu. Als sie endlich den Eigelstein erreichte, stolperte ihr Herz vor lauter Furcht. Allein am Gesang der Vögel glaubte sie zu erkennen, dass nichts so war, wie es sein sollte. Oder bildete sie sich das nur ein? Vor dem Tor des Kappeshofes blieb sie stehen, schloss die Augen und atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Als sie die Lider wieder öffnete, erblickte sie Mettel, die aufgeregt auf sie zueilte. Also doch! Alena zitterte am ganzen Körper. Unwillkürlich begann sie zu schluchzen. »Nein, Mettel! Bitte nicht!«
»Er ist fort! Ich kann es mir selbst nicht erklären. Glaube mir, ich war nur einen Augenblick in der Scheune. Dann war das Körbchen verschwunden.« Die Kappesbäuerin hob anklagend die Hände und richtete den Blick zum Himmel.
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