Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
APITEL
N achdem sie Abraham Sax Gülichs Botschaft überbracht hatte, suchte Alena sich einen ruhigen Winkel in der Gasse, um Gabriel zu stillen. Als der Kleine schließlich satt war, brach sie schweren Herzens zum Eigelstein auf. Sosehr sie sich auch den Kopf zerbrach und nach einer Lösung suchte, es war undenkbar, Gabriel mit auf den Leprosenhof zu nehmen.
Den ganzen Weg über drückte sie den Kleinen fest an sich, küsste immer wieder die zarten Wangen und spielte mit den Fingerchen, die sich um ihren Daumen klammerten. Jeden Augenblick wollte sie in ihrer Erinnerung bannen. Vor der Mauer des Hofes der Kappesbäuerin traten ihr bittere Tränen in die Augen. Sie setzte sich auf einen Mauervorsprung und weinte sich den Kummer von der Seele. Gabriel begann ebenfalls zu greinen, als wollte er ihren Schmerz teilen. Sie versuchte, ihn noch einmal zu stillen, doch er wollte nicht trinken. Da bemerkte sie den Geruch, der aus dem Tuch stieg. Es war höchste Zeit, dass sie ihn zu Mettel brachte, damit er gewickelt wurde.
Die Kappesbäuerin war dabei, den Ziegenpferch auszumisten. Als sie Alena erblickte, schüttelte sie spöttisch den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften. »Wusste ich doch, dass du wiederkommst.«
»Warum sollte ich nicht wiederkommen?«
Mettel zog die Mundwinkel nach unten. »Was weiß ich. Aber du solltest längst auf dem Leprosenhof sein. Oder irre ich mich?«
»Nein, du irrst dich nicht. Lass uns in die Wohnstube gehen. Gabriel muss gewickelt werden.«
»Das glaube ich gern.« Mettel warf die Forke in den Misthaufen und wischte sich die Hände an der Schürze ab.
In der Wohnstube holte die Bäuerin frische Tücher aus der Truhe und breitete sie auf dem Küchentisch aus. Dann streckte sie Alena die Arme entgegen, um Gabriel in Empfang zu nehmen.
»Lass, ich mache das selbst.« Alena drückte einen Kuss in das weiße Haar ihres Sohnes und legte ihn auf den Tisch.
Nachdem sie Gabriel in die sauberen Tücher gewickelt hatte, hob sie ihn auf und legte ihn in Mettels Arme. »Hör zu!« Rasch wischte sie sich die Tränen von der Wange. »Es ist möglich, dass ich für lange Zeit nicht kommen darf. Bitte, Mettel, versprich mir, dass du dich trotzdem um Gabriel kümmerst. Wenn es möglich ist, bringt Änni dir das Kostgeld.« Alena kramte in ihrer Schürzentasche und legte eine Handvoll Münzen auf den Tisch.
Die Kappesbäuerin hielt Gabriel fest im Arm. »Natürlich werde ich für ihn sorgen. Sei unbesorgt, Mädchen. Doch nun sieh zu, dass du auf den Hof der Siechen kommst. Wenn die Verwalterin frech wird, reib ihr den eigenen Dreck unter die Nase.«
»Ja, das sollte ich vielleicht tun.« Alena seufzte tief und verließ den Hof der Kappesbäuerin.
Den ganzen Weg über dachte Alena darüber nach, ob sie an diesem Abend nicht einfach in ihre Kammer verschwinden sollte. Doch es wäre nur die Flucht für eine Nacht, und der Sonnenaufgang ließ nicht ewig auf sich warten. In Gedanken versuchte sie, eine einzige warmherzige Eigenschaft zu entdecken, die sie der Verwalterin zuschreiben konnte, doch sosehr sie sich auch mühte, es kam ihr keine in den Sinn. Schlimmstenfalls würde Elsgen sie vom Hof werfen.
Doch plötzlich hatte Alena einen Einfall, für den sie sich beinahe schämte. Ehe sie ihrem Gewissen nachgeben konnte, zerriss sie sich die Röcke und hob einen spitzen Stein vom Boden auf. Damit fuhr sie sich über das Gesicht. Das Blut aus der Schramme verrieb sie rasch auf ihren Röcken. Anschließend rief sie sich den letzten Beischlaf mit Gotthardt ins Gedächtnis und taumelte laut schreiend auf den Hof. Dort brach sie zusammen. Hoffentlich beobachtete sie jemand und eilte ihr zu Hilfe. Iven würde sie später alles erklären. Was die übrigen Bewohner von ihr denken mochten, war ihr gleichgültig. Es galt, ein winziges Fünkchen Mitgefühl bei der Verwalterin zu wecken. Doch anders als erwartet erregte sie keinerlei Aufmerksamkeit. Auf dem Hof herrschte tiefe Stille, als hätten sich sämtliche Bewohner bereits in ihre Kammern zurückgezogen.
Alena rappelte sich auf und klopfte sich den Dreck von den zerrissenen Röcken. Schnurstracks ging sie zu dem Haus des Verwalterehepaars. Ohne anzuklopfen, stieß sie die Tür auf.
Elsgen erstickte vor Schreck beinahe an dem Knochen, den sie gerade mit ihren Zähnen bearbeitete. Der Tisch vor ihr bog sich unter der Last des halben Schweins, das knusprig gebraten auf einem riesigen Holzbrett dampfte. Alena glaubte sich in einem Traum. Dass Elsgen
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