Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
schweifen. Über einhundert Stadtsoldaten zogen mit brennenden Fackeln in der Hand vorüber. In ihrer Mitte trugen sie Gülich auf einem Stuhl in Richtung Heumarkt. Johlend und klatschend schloss sich das gemeine Volk an und folgte dem Zug, als hätte es eine Schlacht gewonnen.
Kopfschüttelnd und fassungslos verfolgte Gotthardt das Treiben. Nicht einmal zwei Wochen lang hatte der Rebell in Haft verbracht. Schwer atmend rieb Gotthardt sich das Gesicht.
Rentmeister Honthumb schlug mit der flachen Hand auf seine Schulter. »Ja, das ist traurig, aber leider ist es wahr. Kaum hat Öttingen das Kurkölnische verlassen, drehen sich die Ratsmitglieder wie Fähnchen im Wind. Heute so, morgen so. Heute haben die 44er Mitspracherecht, morgen nicht. Kaum heult die Meute vor dem Rathaus, lassen sie den Rebellen frei. Es ist zum Verrücktwerden!«
Gotthardt betrachtete sein Spiegelbild in der Tischplatte und strich sich eine Strähne aus der Stirn. Warum nur fand dieses ewige Hin und Her kein Ende? Verdrossen schlug er mit der Hand auf den Tisch. »Weshalb wird dem gemeinen Pöbel so viel Macht zugesprochen? Seit wann entscheiden die 44er oder gar die Bürger, ob jemand aus der Haft entlassen wird?«
»Jeder glaubt, er hätte etwas zu sagen in unserem Heiligen Köln. Das andauernde Geplänkel hängt auch mir zum Hals heraus, glaubt mir, Crosch. Wir brauchen endlich eine Einheit.«
Die Tür zu Honthumbs Arbeitszimmer öffnete sich, und Gülich spazierte herein. Offenbar hatte er seinen Triumphzug unterbrochen.
Gotthardt verdrehte die Augen. »Wenn man vom Teufel spricht …«
»Das habt Ihr Euch fein ausgedacht, meine Herren.« Gülich nahm seinen Hut ab und warf ihn auf den Tisch. »Doch ich schwöre Euch, Eure Tage sind gezählt. Es dürfte Euch nicht entgangen sein, dass ich gestern von meiner Gaffel in die 44er gewählt wurde.«
Gotthardt schaute Honthumb entgeistert an. »Das kann nicht sein. Es stehen keine Neuwahlen an.«
Honthumb hob ratlos die Schultern. »Ich verstehe gar nichts mehr.«
»Bedauerlicherweise ist Gaffelmeister Eduard von einem tollen Hund gebissen worden. Deshalb kann er das Amt nicht mehr ausüben.« Unaufgefordert setzte Gülich sich zu ihnen an den Tisch, griff nach dem Krug Wein und goss etwas davon in Gotthardts Glas, das er anschließend in einem Zug leerte.
Honthumb sprang auf. »Ich glaube, es ist das Beste, wenn Ihr Eurer Wege geht!«, brüllte er mit hochrotem Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern, Euch gerufen zu haben.«
»Ich hatte nicht vor, länger zu bleiben.« Gülich nahm seinen Hut, verbeugte sich lächelnd und verschwand.
»Dieser … dieser aufgeblasene Gockel!« Der Rentmeister griff sich an die Brust. »Was denkt er sich? Aber warte, Freundchen! Noch heute wird ein Schreiben an Öttingen Köln verlassen.«
»Seid Euch meiner Unterstützung gewiss.« Gotthardt betrachtete seine Fingernägel und suchte nach Dreck. Unter dem Daumennagel entdeckte er einen schwarzen Fleck. Wie von Sinnen begann er, daran zu knibbeln.
Die Sonne neigte sich gen Westen, und Alena spürte jeden einzelnen Knochen in ihrem Leib. Ungeduldig zog sie den Eimer aus dem Brunnen.
Die Verwalterin hatte sich von ihren Drohungen nicht beeindrucken lassen und sah sich weiterhin auf der sicheren Seite. Ihre Abneigung Alena gegenüber hatte sich unterdessen ins Übermächtige gesteigert. Sie zahlte ihr nur noch die Hälfte des Lohns aus und brummte ihr manch sinnlose Arbeit auf. Alena durfte außerdem den Hof nicht mehr verlassen. Die Sehnsucht nach Gabriel wuchs von Tag zu Tag.
Plötzlich drang ein klägliches Wimmern aus dem Wohnhaus der Leprosen. Alena schaute an der Fassade entlang nach oben und stellte fest, dass die Laute aus Theres’ Fenster kamen. Das Weinen wurde lauter und verwandelte sich in hysterisches Geschrei. Erschrocken stellte Alena den Eimer auf den Brunnenrand und eilte die Stiegen hinauf.
Theres hockte in ihrem Nachthemd auf dem Boden vor dem Bett. Ihre Hände krallten sich in das Laken, das sie wie vom Teufel besessen über ihre Augen rieb. »Warum? Warum?«, klagte sie verzweifelt.
Alena war mit einem Satz bei dem Säuglingskörbchen, um nach der kleinen Sophie zu sehen. Erleichtert presste sie die Hand auf ihre Brust. Das kleine Mädchen spielte friedlich mit einem ihrer Füße und versuchte soeben, sich einen Zeh in den Mund zu stecken.
»Warum? Warum?«
Alena trat zu Theres, kniete sich neben sie und strich ihr mit der Hand über den Rücken. »Warum weinst du denn? Hast du
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