Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
gescheiteltes Haar hing ihm in Strähnen in die Stirn, und er blickte müde auf. Offenbar war er damit beschäftigt, Nähnadeln, die sich vor ihm auf dem Boden zu einem Haufen türmten, der Länge nach zu sortieren.
Alena setzte sich ihm gegenüber und schaute auf seine zerstochenen Hände. »Warum hat man dich verhaftet?«
Gülich lachte verzweifelt auf. »Weil gewisse Ratsherren gegenüber dem Reichshofrat Öttingen erklären, dass ich an den Unruhen schuld sei. Ich hätte das Kölner Volk mit falschen Behauptungen aufgewiegelt. Außerdem sind sie der Meinung, dass ich nur durch eine Arrestierung von den Ratssitzungen ferngehalten werden kann.« Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Nun ja, in dieser Beziehung haben sie recht.«
»Aber was sagt man in den Gaffeln dazu? Soweit ich weiß, stehen die 44er auf deiner Seite.« Gabriel regte sich in ihrem Arm, blinzelte kurz und schaute sie mit seinen roten Augen an.
»Ich weiß es nicht, Mädchen.« Gülichs Gesicht wurde wieder ernst. »Ich darf keine Briefe schreiben und bekomme auch keine in diesem verdammten Loch. Weißt du, wie erniedrigend es ist, zwischen den Verwirrten eingesperrt zu sein? So will man dem Volk beweisen, dass ich nicht ganz bei Sinnen bin.« Er ballte die Faust und mahlte mit den Zähnen.
»Soll ich jemandem eine Botschaft übermitteln?«
»Würdest du das für mich tun?« Gülichs Blick hellte sich ein wenig auf.
»Selbstverständlich.«
»Dann pass auf! Geh zum Bannerherrn Abraham Sax. Er wohnt in dem Haus des Raben in der Severinstraße. Sag ihm, dass er eine Kundgebung auf dem Aldemarkt abhalten soll.«
»Mehr nicht?« Alena sah ihn verwundert an.
»Nein, mehr nicht. Es genügt, wenn Abraham das Volk zusammenruft und den Bürgern verkündet, dass sie mit ihren Nöten nicht allein sind. Und dass derjenige, der sich mit seiner ganzen Kraft für sie einsetzt, als Verwirrter von der Obrigkeit weggesperrt wurde. Alles Übrige wird sich ergeben.«
»Änni sorgt sich sehr um dich«, sagte Alena leise und starrte auf die Nadeln.
»Ja, ich habe sie gesehen, als die Stadtsoldaten mich hierhergebracht haben. Das Mädchen ist gewitzt, ließ sich nicht abschütteln.« Auf Gülichs Lippen lag ein Lächeln. »Endlich kann ich Hoffnung schöpfen. Glaube mir, sobald ich wieder draußen bin, wird für einige Herren mitten im Sommer die Eiszeit beginnen.«
Alena erhob sich. »Ich muss gehen. Du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde umgehend den Bannerherrn aufsuchen.« Den Gedanken an die knappe Zeit schob sie beiseite, zusammen mit dem an die Verwalterin des Leprosenhofes.
Gabriel gab ein Glucksen von sich, und Alena drückte ihn liebevoll an sich.
»Darf ich einen Blick auf den Kleinen werfen, bevor du gehst?« Gülich erhob sich von seinem Stuhl.
»Aber natürlich. Dass er rote Augen und weißes Haar hat, weißt du ja bereits.« Behutsam schob sie das Tuch von Gabriels Köpfchen. Der Kleine saugte an seiner Unterlippe und ließ den Blick schweifen.
»Er hat einen wachen Geist. Sieh nur, wie er schaut!« Gülich wackelte mit den Fingern vor den Augen des Kindes.
»Ich bin viel zu selten mit ihm zusammen. Bald wird er glauben, dass die Kappesbäuerin seine Mutter ist. Meine größte Furcht ist, dass er sie lieber haben könnte als mich.«
Gülich legte die Hand auf Alenas Schulter. »Das glaube ich nicht, Mädchen. Es zählt nicht die Zeit, die man mit jemandem verbringt, sondern die Liebe, die man in der Zeit gibt.«
»Da kann die Kappesbäuerin sich nicht mit mir messen.« Lächelnd verabschiedete Alena sich von Gülich und klopfte an die Tür, damit der Abt sie aus der Zelle ließ.
Vor dem Kloster schaute Alena in den Himmel und stellte fest, dass die Sonne bereits im Zenit stand. Sie überlegte, ob sie Gabriel zur Kappesbäuerin bringen sollte, bevor sie den Gaffelmeister aufsuchte. Der Eigelstein lag in entgegengesetzter Richtung zur Severinstraße. Außerdem war der Hof vom Kloster weiter entfernt als das Haus des Gaffelmeisters, wenn auch nur geringfügig. Entschlossen nahm sie schließlich die Straße, die zum Haus des Bannerherrn führte. Was spielte es für eine Rolle, ob sie nun eine, zwei oder drei Stunden zu spät auf den Leprosenhof kam? Je weiter sie lief, desto mehr gefiel ihr der Gedanke, bis zum Abend mit Gabriel zusammen zu sein. Der Verwalterin würde sie eine Lüge für ihr Fortbleiben auftischen, die selbst eine Krähe wie sie erweichen würde. Welche das sein sollte, wusste Alena jedoch nicht.
23. K
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