Die Magd von Fairbourne Hall
fliehen und dem Bedürfnis, alles zu gestehen. Doch dann hatte er sie überrascht, indem er erklärte, dass er ihr nur für ihre Hilfe in London danken wollte. Warum – nach so langer Zeit? Trotzdem war es eine Erleichterung gewesen, dass er sonst nichts von ihr wollte. Dass ihr Geheimnis nach wie vor sicher war.
Der Hund neben ihr auf dem Fußboden seufzte zufrieden auf. Margaret lächelte und schlief ebenfalls zufrieden ein.
Nach einem langen und ermüdenden Treffen mit dem Kirchengemeinderat hatte Nathaniel das dringende Bedürfnis, auf die Jagd zu gehen. Moorhuhnjagd wäre nicht schlecht, dachte er, denn Ende September war die Saison ohnehin vorbei. Er blickte sich nach Jester um, der immer für einen Ausflug in den Wald zu haben war, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Er fragte den Lakaien, der Türdienst hatte: »Hast du den Hund gesehen?«
»Ja, Sir. Er ist vorhin die Treppe hochgelaufen.«
Wahrscheinlich in mein Schlafzimmer , dachte Nathaniel und ging zur Treppe.
Er hatte den Wolfshund immer sehr gern gehabt und ihn vermisst, als er auf Barbados war. Ursprünglich hatte er ihn mitnehmen wollen, doch bei näherer Betrachtung fand er es nicht richtig, ein Tier, das nichts mehr liebte, als durch die Wälder zu streifen, Füchse zu jagen oder eine Schar Vögel aufzuscheuchen, mit auf eine Seereise zu nehmen. Wenn Nathaniel zu tun hatte oder unterwegs war, konnte er sich darauf verlassen, dass der Laufjunge oder der Pferdeknecht mit Jesper hinausging, doch normalerweise ging er selbst mit ihm.
Früher hatte seine Mutter Hunde im Obergeschoss nicht geduldet, doch nach ihrem Tod hatten sich die Regeln gelockert. Nathaniel mochte Jesters Gesellschaft und hatte nichts dagegen, dass er in seinem Zimmer auf dem Boden vor dem Kamin schlief. Allerdings verbrachte der Hund nicht jede Nacht bei ihm.
Oben an der Treppe kam Nathaniel ein dünnes, dunkelhaariges Hausmädchen entgegen, die Arme voll Bettwäsche.
»Hast du den Hund gesehen?«, fragte er.
»Ja, Sir. Er hat mich fast umgerannt. Er ist die Hintertreppe hochgelaufen.«
»Danke.« Das ist ja komisch , dachte Nathaniel. Nun ja, wer A sagt, muss auch B sagen . Ein wenig Bewegung würde ihm guttun, beschloss er und stieg die Treppe hinauf, vor allem, da er den Fechtkampf mit Hudson heute Morgen ausgelassen hatte.
Trotzdem zögerte er, den Dachstuhl, die Domäne der weiblichen Dienerschaft, zu betreten. Seit seiner Kindheit, als ihn sein täglicher Besuch im Schulraum fast jeden Tag diese Treppe hinaufgeführt hatte, war er kaum noch oben gewesen. Jetzt hatte er eigentlich nichts mehr dort zu suchen. Was Jester wohl da oben machte?
Nathaniel ging den Flur entlang, doch alle Türen waren geschlossen. Er bog um die Ecke in einen Seitengang. Ganz hinten, am Ende des Gangs, stand eine Tür offen.
Er ging leise hin und warf einen Blick hinein. Überrascht sah er eine Gestalt auf dem Bett liegen und friedlich schlummern. Nora oder vielmehr Margaret. Und zusammengerollt auf einem Teppich vor dem Bett, mit einem höchst zufriedenen Ausdruck im Gesicht, lag sein Wolfshund. Jesters Augen öffneten sich; er wusste genau, dass Nathaniel da war, machte jedoch keine Anstalten, aufzustehen oder zu ihm zu kommen.
Treuloses Geschöpf , dachte Nathaniel, teils amüsiert, teils verärgert. Doch er konnte ihm keine Vorwürfe machen, dass er sich zu dieser besonderen Tür hingezogen fühlte.
Er gab seinen Plan, auf die Jagd zu gehen, auf, ging wieder hinunter und fand Helen in ihrem Lieblingssessel im Wohnzimmer, eine Stickarbeit auf dem Schoß und eine Tasse Tee neben sich.
»Ach, Helen. Was hältst du eigentlich von dem neuen Hausmädchen?«
Sie schwieg kurz, dann blickte sie auf und sah ihn an. »Warum fragst du?«
Er zuckte die Achseln. »Sie ist irgendwie ungewöhnlich, findest du nicht?«
Ihre Augen verengten sich. »Inwiefern?«
Wusste sie es wirklich nicht oder wollte sie sich nur absichern, genau wie er? Wenn ja, versuchte sie dann, Margaret zu schützen oder ihn, Nathaniel?
Nathaniel zögerte. Er stellte fest, dass er noch nicht bereit war, die kleine Seifenblase, in der er seit Kurzem lebte, platzen zu lassen. Irgendwie machte sein absonderliches Geheimnis ihm Freude. Er wollte es noch nicht lüften, denn dann müsste er sich »Nora« gegenüber anders verhalten. Sich in Acht nehmen. Helen würde ihn beobachten. Würde sich Fragen stellen. Er gab sich betont nonchalant. »Sie ist schon ein bisschen seltsam. Irgendwie kommt es mir vor, als wäre sie
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