Die Magd von Fairbourne Hall
verkrampfte sich, als sie schluckte, doch sie gehorchte und trat drei Schritte vorwärts.
Seine Stimme war ein heiseres Flüstern in seinen Ohren. »Sieh mich an.«
Sie zögerte, dann hob sie langsam das Kinn.
Sein Hals wurde ganz trocken.
Er war entweder verrückt oder dort stand Margaret Macy – oder eine lang verloren geglaubte Zwillingsschwester von ihr – mit schwarzem statt mit blondem Haar. Hatte sie es gefärbt oder war es eine Perücke? Sie hatte sich auch die Brauen geschwärzt. Sein Herz begann heftig zu klopfen – schnell und unregelmäßig. Er ballte die Hand hinter seinem Rücken zur Faust und zwang sich, ein gleichgültiges Gesicht zu machen.
Warum war sie hier? Was um alles in der Welt machte sie hier? Er dachte an Sterling Bentons Besuch. Irgendetwas stimmte da nicht. Er hatte es gespürt, sogar als er versuchte, sich von ihrem Verschwinden nicht beunruhigen zu lassen. Ein Teil von ihm war erleichtert über die Bestätigung, dass sie am Leben war und dass es ihr gut ging. Ein anderer Teil war voller Misstrauen, was ihre Motive für ihre Anwesenheit auf Fairbourne Hall anging. Vielleicht war es eine Verschwörung, um Lewis in die Ehe zu locken. Sie wäre nicht die Erste, die das versuchte.
Andererseits, so sagte er sich, war Lewis nach London zurückgekehrt und sie war geblieben.
Wie kam es, dass er sie nicht früher erkannt hatte? Er erinnerte sich, dass Sterling Benton gesagt hatte, Frauen seien hellsichtiger als Männer. Und er erinnerte sich mehrerer früherer Gelegenheiten, bei denen er betont hatte, wie ähnlich zwei bestimmte Personen sich sähen – Helen hatte nur gelacht. »Ihr Haar ist ähnlich und vielleicht auch ihr Körperbau, aber sonst haben sie keinerlei Ähnlichkeit.« Oder »Wie kannst du Lydia Thomson mit Kitty Hawkins verwechseln? Ja, sie sind beide rothaarig, aber sonst sind sie völlig verschieden. Die eine hat Sommersprossen, die andere ist blass. Die eine hat blaue Augen, die andere grüne. Die eine ist klug, die andere schrecklich dumm!« Und trotzdem hatten Lewis und er die beiden weiterhin verwechselt.
Er fragte sich, ob Helen Miss Macy erkannt hatte. Lewis hatte sie nicht erkannt, da war er ganz sicher, sonst hätte er schon längst einen Scherz darüber gemacht. Bei Helen war er sich nicht so sicher.
Doch was sollte er tun? Sollte er ihre Tarnung aufdecken und eine Erklärung verlangen? Ihren Stiefvater benachrichtigen? Sie hinauswerfen? Sie in die Arme schließen?
Er ballte beide Hände zu Fäusten, als diese Welle widersprüchlicher Wünsche ihn überspülte, doch er blieb stocksteif stehen, ja, er blinzelte kaum. Welch eine seltsame Wendung des Schicksals! Dass sie hier war, unter seinem Dach, in seiner Gewalt. Da Lewis in London war, war er ihr Herr, zumindest, was ihre Anstellung und ihren Aufenthalt in diesem Haus betraf.
Die Vorstellung, wenigstens einmal eine gewisse Macht über sie zu haben, gefiel ihm. Welch eine Erleichterung nach der schrecklichen Macht, die sie in den letzten Jahren über ihn gehabt hatte, ob sie es nun wusste oder nicht.
Er wusste, dass Margaret impulsiv war, wie auch Benton und Helen gesagt hatten. Aber würde sie wirklich eine Stellung als Hausmädchen annehmen – würde irgendein Mädchen aus vornehmer Familie das tun? Nur, wenn sie völlig verzweifelt war. Und sie machte ihre Arbeit, hatte Mrs Budgeon gesagt. Wenn es ein dummer Streich gewesen wäre, um Lewis nahe zu sein, so hätte er nach ein paar Tagen der Schinderei ernüchtert und ermüdet geendet. Sie musste einen anderen Grund haben.
Er beschloss herauszufinden, was da vor sich ging. Er würde sie nicht Sterling Benton ausliefern – den Mann hatte er ohnehin nie leiden können.
Margarets Gesicht war inzwischen nicht mehr blass, sondern tiefrot, während er dastand und sie ansah.
Mit äußerster Anstrengung kontrollierte er seinen Gesichtsausdruck und mäßigte seine Stimme. »Du brauchst keine Angst zu haben, Nora. Ich habe dich nur holen lassen, um dir zu danken. Mr Hudson hat mir von deiner mutigen Hilfe in der Nacht in London erzählt, als wir beinahe Dieben in die Hände gefallen wären. Er hat dir bereits gedankt, wie ich weiß, aber ich noch nicht.«
Ihre Augen hinter der runden Brille blinzelten. Sie schluckte und nickte, dann murmelte sie: »Gern geschehen, Sir.«
Ob sie wohl in ihrer Jugend viel Zeit mit der Dienerschaft im Souterrain verbracht hatte? Woher hatte sie sonst diesen Akzent gelernt?
Er sagte: »Gut, Nora. Das ist alles.«
Sie knickste,
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