Die Magd von Fairbourne Hall
macht.« Rasch fügte sie hinzu: »Er geht nach London, wie Sie sehen, und wird dann schneller ankommen.«
»Äh – ja, na gut.« Er streckte die Hand aus. »Du weißt, Nora, dass der Empfänger das Porto bezahlen muss.«
»Ja, das weiß ich, Sir.« Sie legte den Brief in seine ausgestreckte Hand.
Er sah sie mit gerunzelten Brauen an und einen Moment fürchtete sie, dass er den Namen der Empfängerin kannte. Doch dann hellte sich sein Gesicht auf. Hatte er vielleicht einen Brief an einen jungen Mann erwartet und sich nicht an einer verbotenen Verbindung beteiligen wollen?
Er sagte: »Miss Emily Lathrop wird das Porto also nicht als unzumutbare Härte empfinden?«
»Nein, Sir.«
»Nun gut, Nora.«
Erleichtert lächelte sie. »Danke, Sir.«
Nathaniel trat aus seinem Zimmer, Hut und Handschuhe in der Hand, Jester dicht auf den Fersen. Er musste in die Stadt, etwas erledigen. Auf dem Flur sah er Helen in ihrer Schlafzimmertür stehen und leise mit Margaret sprechen, die Haube und Schal trug. Er überlegte beiläufig, wo sie wohl gewesen war. Er wollte ihr Gespräch nicht stören und machte einen Bogen um die beiden Frauen.
Doch Helen rief ihn. »Nathaniel, fährst du nach Maidstone?«
Er drehte sich um. »Ja.«
»Sehr gut. Kannst du Nora mitnehmen? Sie muss zu der Modistin in der Bank Street.«
Nathaniel überlegte. Er hatte bereits nach dem Einspänner geschickt, ein Passagier mehr wäre also kein Problem. Er fuhr sehr gern mit der kleinen, sportlichen Kutsche, die von einem kräftigen Cleveland-Fuchs gezogen wurde. Außerdem konnte Jester mitfahren, was er immer sehr genoss. Und nicht zuletzt versuchte, solange er sich in der Bank aufhielt, ganz bestimmt niemand, eine Kutsche zu stehlen, wenn in dieser Kutsche ein großer Wolfshund saß.
Er sagte: »Gern. Ich muss zur Bank, das ist ganz in der Nähe.«
»Wirklich?« Helen sah ihn mit großen, unschuldigen Augen an. »Dann passt es ja gut.«
Nathaniel warf ihr einen misstrauischen Blick zu. Führte seine Schwester etwas im Schilde?
Verlegen folgte Margaret Mr Upchurch nach unten und vors Haus, wobei sie streng darauf achtete, immer mehrere Schritte hinter ihm zu bleiben. In der Auffahrt wartete eine kleine Kutsche mit zwei großen Rädern, vor die ein einzelnes Pferd gespannt war.
Nathaniel sagte zu dem Pferdeknecht: »Das Hausmädchen muss eine Besorgung für Miss Upchurch machen.«
Clive klappte die Ladeklappe aus und half ihr hinauf. Nathaniel kletterte auf den Kutschbock und nahm die Zügel. Jester sprang hinter Nathaniel auf den Sitz und los gingʼs. Es fühlte sich seltsam an, in einem Wagen zu sitzen, der von Nathaniel Upchurch kutschiert wurde.
Sie fuhren durch Weavering Street und weiter zur Stadt. In den Feldern um sie herum standen Männer mit Sensen und mähten das goldgelbe Getreide. Die Erntezeit war fast vorüber. Margaret hielt ihr Gesicht in den milden Sonnenschein und atmete tief die frische Frühherbstluft ein. Hinter ihr blickte Jester auf die vorüberfliegende Landschaft; die Zunge hing ihm aus dem Maul, die Augen hatte er halb geschlossen in seligem Genuss der frischen Brise.
Ein paar Minuten später rumpelten sie nach Maidstone hinein und bogen in die Bank Street ab. Vor dem Geschäft der Modistin hielt Nathaniel an und Margaret stieg aus.
Mr Upchurch schaute von seinem Sitz zu ihr herunter. »Wie lange wirst du brauchen?«
»Nicht lange. Vielleicht … zwanzig oder dreißig Minuten.«
Er nickte. »Ich hole dich hier in einer halben Stunde wieder ab.«
Sie betrat das Geschäft. Durch das Schaufenster beobachtete sie wehmütig, wie Nathaniel sich beim Anblick einer älteren Matrone an den Hut tippte. Bevor er zur Bank weiterfuhr, winkte er noch einem vorübergehenden Jungen zu.
Margaret wählte rasch den Gesichtspuder und das neue Rouge aus, das Miss Upchurch wünschte. Helen hatte sie gebeten, die Sachen zu kaufen, statt sie im Destillierraum zuzubereiten. Sie wollte nicht, dass die Dienstboten Spekulationen über ihre neue Vorliebe für Kosmetika anstellten.
Eine halbe Stunde später hielt Mr Upchurch wie ausgemacht vor dem Laden. Sie rief sich in Erinnerung, dass ein Herr seinem Hausmädchen nicht in die Kutsche half, und kletterte ohne seine Hilfe auf ihren Sitz.
Dann fiel ihr auf, dass er für die Heimfahrt einen anderen Weg nahm. Ein paar Minuten später beschrieb die Straße einen Bogen und folgte einem schmalen Mühlbach. In der Kurve, die sie etwas schneller nahmen, versackte ein Rad plötzlich in einem tiefen
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