Die Magd von Fairbourne Hall
sie ihrer Mutter oder ihrer Schwester die Haare gebürstet und sogar Gilberts ungebärdige Locken hatte sie hin und wieder gebändigt.
»Erlauben Sie mir, Miss.«
Helen ließ die Bürste sinken und Margaret nahm sie ihr sanft aus der Hand. Dann bearbeitete sie das Haar mit langen, gleichmäßigen Strichen. Wenn sie auf einen Knoten traf, hielt sie inne und entwirrte ihn sorgfältig, bevor sie weitermachte. Helens Haar zu bürsten beruhigte sie und erinnerte sie an Caroline, auch wenn das Haar ihrer Schwester heller im Ton und dünner war. Im Spiegel sah sie, dass Helen die Augen geschlossen hatte. Gut , dachte sie.
Jetzt, aus der Nähe, entdeckte sie ein paar graue Strähnen in dem braunen Haar.
»Kannst du auch frisieren?«, fragte Helen. »Wenn nicht, kann ich mir selbst einen einfachen Knoten machen.«
Wie anspruchslos Helen Upchurch war, dachte Margaret, in ih rem locker gebundenen, unverstärkten Korsett, ihrem alten Kleid und ihrer gelassenen Art.
»Es wäre mir eine Freude, es zu versuchen, Miss.«
»Gut.«
Und schon bald ging Margaret völlig in ihrer Aufgabe auf. Sie nahm Helens Haar vom Nacken aus hoch und fasste es mit einer Hand zusammen, dann beugte sie sich vor, um die Bürste abzulegen. Sie hatte Helen seit ihrem Aufenthalt hier oft genug gesehen, um zu wissen, dass sie ihr Haar in einem schlichten, strengen Knoten tief im Nacken trug. Doch nach Margarets Ansicht würde es ein wenig höher aufgesteckt sehr viel besser aussehen. Sie überlegte kurz, ob sie die Brennschere heiß machen sollte, doch es war zu warm, um ein Feuer anzumachen.
Also gab sie sich damit zufrieden, zwei dicke Strähnen an beiden Seiten aus dem Knoten herauszulassen, sie mit Wasser anzufeuchten, aufzuwickeln und die Locken dann an den Schläfen zu fixieren. So konnten sie trocknen, während sie das übrige Haar hoch auf dem Kopf feststeckte.
Margaret beugte sich wieder vor, befestigte den Knoten mit Haarnadeln und steckte das überstehende Haarschwänzchen weg. Als sie fertig war, nahm sie die Lockenwickler heraus und sah erfreut, dass die Strähnen in Korkenzieherlocken kleidsam neben Helens Gesicht herunterhingen. Zum Glück war Helens Haar von Natur aus leicht gelockt, im Gegensatz zu dem von Caroline, das ohne die Unterstützung durch die Brennschere ganz glatt herunterhing.
Margaret war so vertieft in ihr Tun, dass es ein Weilchen dauerte, bis sie merkte, wie reglos Helen plötzlich dasaß. Sie hatte sich völlig versteift.
Erschrocken blickte sie auf. Helen hielt die Augen nicht mehr geschlossen, sondern betrachtete ihr Spiegelbild. Sie starrte sich mit großen Augen an.
»Was machst du da?«, stieß sie aus.
Margarets Herz klopfte heftig. Sie sah ebenfalls in den Spiegel und tat dann so, als beschäftige sie sich mit einer gelösten Haarsträhne. Hatte Helen sie erkannt oder war sie nur aufgebracht über die Freiheiten, die das neue Mädchen sich mit ihrem Haar herausnahm? Aber vielleicht maß Margaret der Frage auch zu viel Bedeutung bei.
Sie schluckte, beschloss, die Frage in letzterem Sinn zu verstehen, und sagte mit starkem Akzent: »Ich versuch bloß, Ihr Haar ʼn bisschen höher aufzustecken, Miss. Aber ich kannʼs auch wieder anders machen, wenn Se wollʼn.«
Sie hielt den Atem an und spürte, wie Miss Upchurchs prüfender Blick auf ihrem gebeugten Kopf ruhte. Das Schweigen dauerte an. Margaret bekam feuchte Handflächen. Atemlos fragte sie: »Welche Ohrringe möchten Sie tragen, Miss?«
Helen drehte sich auf ihrem Stuhl um und Margaret trat mehrere Schritte zurück. Der direkte Blick der anderen war noch unangenehmer als ihr Blick aus dem Spiegel. Sie zwang sich, ihn zu erwidern.
Helen fragte misstrauisch: »Warum bist du hier?«
Margaret war sicher, dass Helen ihr Herz schlagen hörte. »Wie ich schon sagte, Miss. Ich helfe Betty heute nur. Ich wollte nichts Unrechtes tun.«
Helens Augen verengten sich. »Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll. Aber ich werde die Augen offen halten.«
»Ja, Miss«, murmelte Margaret. »Wünschen Sie sonst noch etwas, Miss?«
Helen schüttelte langsam den Kopf.
Margaret knickste und ging zur Tür. Dabei spürte sie, wie Helens misstrauischer Blick ihr den ganzen Weg folgte.
Auf dem Flur wäre sie beinahe mit Fiona zusammengestoßen. Die dünne Irin war völlig außer Atem und machte ein grimmiges Gesicht. Sie blickte von Margaret zu der Tür, aus der sie gerade herausgekommen war.
»Was hast du da drin gemacht?«
»Ich hab nur ausgeholfen. Betty
Weitere Kostenlose Bücher