Die Magd von Fairbourne Hall
Unverständliches.
»Betty, du hast verschlafen. Was wird Mrs Budgeon sagen? Ich will nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst.«
»Wie spät isses?«, fragte Betty mit belegter Stimme, als sei ihr Mund mit Baumwolle ausgestopft.
»Sechs Uhr vorbei.«
»Sechs?« Betty riss die Augen auf. Stöhnend drehte sie sich um, setzte sich auf und massierte ihre Schläfen. Plötzlich wurde sie grün und presste die Hände vor den Mund.
Margaret reagierte rasch, griff nach der Schüssel auf dem Waschtisch und hielt sie Betty unter das Kinn. Betty erbrach sich. Und erbrach sich noch einmal.
Sie stöhnte. »Das Zimmer dreht sich, Nora. Gib mirʼn paar Minuten, um auf die Beine zu kommen. Die Fensterläden können wir…« Damit fiel sie zurück aufs Bett und schob einen Arm über die Augen.
Aus all diesen Anzeichen und dem Gestank zog Margaret den überraschenden Schluss, dass die unerschütterliche, zuverlässige und fleißige Betty sich letzte Nacht betrunken haben musste und heute Morgen einen Kater hatte. Bei näherer Überlegung war sie allerdings nicht mehr ganz so überrascht, wenn sie daran dachte, wovon Betty sich gestern hatte trennen müssen. Aber hatte sie es nur getan, um das Geld zu vertrinken?
Hoffentlich nicht alles.
Betty versuchte erneut, sich aufzurichten, stöhnte aber nur. »Oooooh …. mein Kopf …«
»Immer langsam, Betty. Leg dich wieder hin. Du brauchst jetzt erst einmal Schlaf.« Margaret drückte Betty sanft wieder auf ihr Kopfkissen hinunter und zog das Betttuch hoch. Sie leerte die Schüssel in den Nachttopf, spülte sie mit Wasser aus dem Wasserkrug aus und trocknete sie ab; dann stellte sie sie neben Bettys Bett. Zur Vorsicht. Sie schloss die Fensterläden und verließ das Zimmer. Den Nachttopf, den sie mit dem Deckel zugedeckt hatte, nahm sie mit.
Dann stürzte sie sich in die Arbeit. Sie erledigte ihr eigenes und Bettys Morgenpensum, schlug die Fensterläden zurück, polierte die Gitterroste, wischte die Böden in den Zimmern im Hauptgeschoss und staubte ab, was normalerweise Bettys Aufgabe war, und hoffte, dass Fiona den Rest übernahm. Dann lief sie hinunter ins Erdgeschoss, um die Wasserkrüge zu holen. Der Schweiß lief ihr über den Rücken und unter der Perücke hervor. Das verdammte Ding war einfach viel zu warm.
Sie sah, dass Mr Arnold zum Frühstück ins Dienstbotenzimmer kam. Wenn sie jetzt nicht ebenfalls hineinging, würde sie das Gebet verpassen. Das würde Mr Arnold gar nicht gefallen – und Mrs Budgeon natürlich auch nicht, aber sie musste um Bettys willen erst die Arbeit schaffen. Ihr Magen knurrte, doch sie füllte rasch die Wasserkrüge und trug sie in die Zimmer von Nathaniel und Helen hinauf und leerte auch noch schnell die Nachttöpfe, bevor sie wieder hinunterlief.
Als sie schließlich ins Dienstbotenzimmer kam, schwitzend und völlig erschöpft, standen die anderen bereits auf und Jenny fing gerade an abzuräumen.
Mrs Budgeon verzog missbilligend den Mund. »Wenn Sie zu spät kommen, gibtʼs nichts zu essen, Nora, es sei denn, Sie haben eine plausible Entschuldigung …?«
Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie war schrecklich hungrig und hätte ihren letzten Shilling für einen von Hesters Muffins gegeben. Doch sie wusste nicht, was sie sagen sollte, ohne Betty in Schwierigkeiten zu bringen. »Äh … nein. Ich habe einfach ein bisschen länger gebraucht, das ist alles.«
»Wo ist Betty?«, fragte die Haushälterin.
»Äh … in einem der Zimmer, glaube ich. Sie hatte keinen Hunger.«
Irgendjemand schnaubte.
Jenny kicherte und flüsterte dann: »Das überrascht mich nicht. Nach den Mengen, die sie gestern getrunken hat!«
Falls Mrs Budgeon das gehört hatte, ignorierte sie es. »Ich gehe davon aus, dass Ihre Aufgaben, Ihre und Bettys, erledigt sind?«
»Ja, Maʼam.«
»Dann sehen Sie zu, dass Sie nicht zu spät zum Mittagessen kommen.«
Margaret blickte auf die Uhr auf dem Kaminsims. Um diese Zeit pflegte Betty immer zu Miss Upchurch hinaufzugehen, um ihr beim Ankleiden zu helfen und sie zu frisieren. Es wäre nicht gut, wenn Miss Upchurch warten musste. Mrs Budgeon würde nur allzu schnell davon erfahren und eine solche Pflichtvergessenheit würde die penible Haushälterin nicht so schnell entschuldigen.
Margaret ging hinauf, nahm allen Mut zusammen und betrat Miss Upchurchs Zimmer. Sie war schon mehrere Male hier gewesen und hatte Wasser oder Blumen hereingestellt, aber sie hatte der Herrin des Hauses noch nie beim Ankleiden geholfen.
Sie schlug
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