Die Magd von Fairbourne Hall
sie eben erst entdeckt, dass ich einen Busen habe.«
»Aber Miss Helen …«
Sie winkte Margarets Argument beiseite, bevor diese es aussprechen konnte. »In Wirklichkeit interessiert es mich einfach nicht mehr. Ich habe keine Lust, so viel Zeit für meine äußere Erscheinung zu verschwenden. Und so viel Geld für Mode auszugeben. Es ist mir einfach nicht mehr wichtig.«
Margaret wollte ihr eine passende Antwort geben, doch Helen brachte sie mit für sie untypischer Entschiedenheit zum Schweigen. »Ich möchte heute wieder mein altes graues Kleid tragen. Es gibt keinen Anlass, mich heute so herauszuputzen.«
»Aber …«
»Das ist alles, Nora. Du kannst jetzt zu deiner Arbeit zurückkehren.«
An diesem Abend stand Margaret in ihrem Zimmer und streckte vorsichtig ihren schmerzenden Nacken und die Arme, während sie darauf wartete, dass Betty kam und ihr Korsett aufband. Mit einem Mal sprang hinter ihr die Tür auf.
»Wie kannst du es wagen?«
Margaret fuhr herum; zum Glück verrutschte die Perücke nicht.
Da stand Fiona, die Hände in die Hüften gestemmt, außer sich vor Zorn.
»Mrs Budgeon hat mich heute Nachmittag zum Krämer geschickt und dabei musste ich feststellen, dass die Chatelaine verkauft ist.« Fiona kam mit drohendem Gesicht ins Zimmer. »Wer hat sie denn gekauft, habe ich Mr Johnston gefragt. Und was hat er geantwortet? Ein Hausmädchen mit Brille und einer Menge schwarzer Haare.«
Fionas Augen verengten sich zu Schlitzen. »Du weißt genau, wie viel sie ihr bedeutet. Wie kannst du es wagen, sie für dich zu kaufen?«
»Das hat sie nicht getan.«
Die beiden Frauen drehten sich um. Betty stand auf der Schwelle, sie hielt die Chatelaine in beiden Händen.
»Sie hat sie für mich gekauft.«
Margaret war heute Morgen in Bettys Zimmer geschlüpft und hatte sie, in ein Tuch eingeschlagen, auf ihren Nachttisch gelegt.
Betty hatte Tränen in den Augen, als sie zu Margaret trat. »Danke. Ich werde es dir zurückzahlen, sobald ich kann.«
Margaret schüttelte den Kopf. »Das brauchst du nicht. Es war das Mindeste, was ich tun konnte. Ich hoffe, es macht die Sorgen, die ich dir gemacht habe, wenigstens ein bisschen wieder gut.«
Betty winkte ab. Eine Träne lief ihr über die runde Wange. »Das hätte ich nie fertiggebracht.«
Margaret lächelte. Die Überraschung und Freude auf Bettys Gesicht linderten ihren Schmerz über den Verlust der Kamee, zumindest für den Augenblick.
Ein paar Tage später klopfte Fiona an ihre Tür. Sie klopfte tatsächlich. Als Margaret öffnete, kam sie herein und reichte ihr etwas.
»Was ist das?«, fragte Margaret und entfaltete ein weißes Kleidungsstück.
»Ein kurzes Korsett, das vorn geschlossen wird. Du kannst es allein an- und ausziehen.«
Margaret hob den Blick und sah die andere an. »Das hast du für mich gemacht?«
Fiona verzog das Gesicht. »Es ist nicht etwa ein Geschenk. Dieses Prachtkorsett, das du immer trägst, ist unpassend für ein Hausmädchen. Und es ist nicht fair, wenn Betty dir jeden Morgen und jeden Abend damit helfen muss. Das hier …«
»Ich bin völlig deiner Ansicht«, unterbrach Margaret sie. »Tragen du und Betty auch so eins?«
»Ja. Und wenn es für uns gut genug ist, ist es auch für dich gut genug.«
Margaret lächelte. »Mehr als gut genug, Fiona. Ich habe noch selten eine so feine Näharbeit gesehen.«
Fiona wand sich unbehaglich. »Jetzt übertreib nicht. Man könnte denken, ich hätte dir seidene Schlüpfer geschenkt oder so was.« Sie hob die Hände. »Und jetzt lass sehen, ob es dir passt.«
Margaret hatte ihr Unterhemd schon angezogen. Jetzt steckte sie ihre Hände durch die Armlöcher des kurzen Korsetts, das eher den Schnitt einer Herrenweste hatte, aber nicht so lang war. Es war aus festem Baumwollrips gemacht, mit Zwickeln, vier oder fünf Löcherpaaren auf der Vorderseite und sogar mit einer schönen Stickerei verziert. Margaret zog es über der Brust zusammen und sah, dass es ihren Busen höchst effektiv hob und stützte.
»Und jetzt nimm diese Bänder«, sagte Fiona, »und zieh sie durch die Löcher, als würdest du nähen.«
Margaret tat wie angewiesen und zog die Bänder dann zusammen.
Fiona begutachtete ihr Werk. »Passt vorzüglich, wenn ich das selbst sagen darf.«
»Das tut es wirklich. Noch mal vielen Dank!«
»Keine Ursache. Ich habʼs nur gemacht, damit du dich von jetzt an allein anziehen kannst.«
Anscheinend würde die Irin lieber sterben als zuzugeben, dass sie etwas Nora zuliebe getan
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