Die Magd von Fairbourne Hall
ihre Brille ab und putzte die Gläser, während sie die Dachbodentreppe hinunterstiegen. Als Margaret weiter die Hintertreppe ins Untergeschoss hinuntergehen wollte, packte Betty sie am Handgelenk und zerrte sie an den Schlafzimmern der Herrschaft vorbei zur Haupttreppe, die die Dienstboten normalerweise nicht benutzen durften – außer beim Wischen und Polieren. Margaret wunderte sich, sagte aber nichts.
Dann sah sie es. Die gesamte Dienerschaft hatte sich in der Halle versammelt – auch die, die draußen auf dem Anwesen arbeiteten: Wildhüter, Zimmermann, Pferdeknechte, Stalljungen, Gärtner und andere, die sie nicht kannte, standen nebeneinander. Hinter ihnen hatten sich die Waschfrauen aufgestellt, dann die Hühnerfrau, die Spinnenfängerin und das Milchmädchen. Da der Platz in der Halle selbst nicht ausreichte, hatten sich die Dienstboten, die dort keinen Platz gefunden hatten, auf den breiten Treppenstufen hingestellt, die nun bis zum ersten Treppenabsatz besetzt waren. Monsieur Fournier, Hester, die Küchenmädchen und das Spülmädchen. Dahinter Fiona, die Lakaien und der Laufjunge. Die Landarbeiter waren nicht verpflichtet, an der Morgenandacht teilzunehmen, daher hatte Margaret noch nie das gesamte Aufgebot an Bediensteten versammelt gesehen.
Margaret stieg hinter Betty die Stufen hinunter und hoffte, sich so still und unauffällig wie möglich unter die anderen Dienstboten mischen zu können. Sie merkte, dass sie den Kopf gesenkt hielt, als würde sie dadurch unsichtbar werden oder zumindest weniger auffallen, schmutzig, wie sie war.
Sie blieb an der Treppe hinter dem blonden Zweiten Lakaien stehen. Betty stellte sich neben sie.
»Was gibt es denn, Craig?«, flüsterte Betty.
Er zuckte die Achseln.
Margaret schaute nach unten, an den wartenden Dienern vorbei auf die vier Personen, die auf der anderen Seite der Halle standen und sie ansahen. Ein wenig abseits von den Männern stand Mrs Budgeon und ließ ihren Blick über die Gruppe schweifen; es wirkte, als würde sie die Anwesenden im Stillen zählen. Offensichtlich befriedigt, wandte sie sich den drei Männern zu – Mr Hudson, Nathaniel Upchurch und …
Margaret erstarrte. Sterling Benton. Hier. Jetzt. Er stand praktisch im gleichen Raum wie sie. Ihr Herz begann zu rasen.
Sterling war eine imposante Erscheinung mit seinem silbernen Haar, dem tiefblauen Überrock und dem schwarzen Gehstock. Seinen Hut hielt mit der gebotenen Behutsamkeit der Butler, doch den Mantel hatte er nicht abgelegt. Das bedeutete hoffentlich, dass er nicht lange bleiben wollte.
Mr Hudson sagte etwas zu Nathaniel; dieser nickte und trat einen halben Schritt vorwärts, sodass er seinen Leuten frontal gegenüberstand. Dann räusperte er sich.
»Guten Tag. Dieser Gentleman ist Sterling Benton aus London. Er wird euch sagen, warum er hier ist. Ich bitte euch alle, ihm eure ganze Aufmerksamkeit zu schenken.«
Sterling trat einen Schritt vor; dabei drehte er unablässig einen kleinen Gegenstand in seiner Hand.
»Ich bin heute hier, weil meine Stieftochter seit fast einem Monat vermisst wird. Meine liebe Frau, ihre Mutter, ist völlig außer sich, wie Sie sich wahrscheinlich vorstellen können.«
Margaret wagte kaum zu atmen.
»Ich weiß nicht, warum sie weggelaufen ist. Sie hatte einen kleinen Streit mit ihrem Zukünftigen und ist vielleicht in einem Anfall von Ärger geflohen. Sie ist ein sehr impulsives Mädchen, muss ich zugeben. Doch was auch immer der Grund war, ich möchte sie finden und sicher zu ihrer Mutter und ihrem reuevollen zukünftigen Gatten zurückbringen. Wir werden ihr alles vergeben. Wir wollen sie einfach wiederhaben.«
Er hob den Gegenstand, den er in der Hand hielt, hoch. »So sieht sie aus; das Bild wurde vor ein paar Jahren gemalt. Ich möchte, dass Sie es sich einer nach dem anderen genau ansehen. Sie heißt Margaret Macy. Sie ist vierundzwanzig Jahre alt. Wenn irgendeiner von Ihnen sie gesehen hat, möge er es bitte sagen. Oder wenn irgendjemand ihrer zu einem späteren Zeitpunkt ansichtig wird, soll er es dem Verwalter sagen; er hat versprochen, mich sofort zu benachrichtigen.«
Margaret summten die Ohren; ihre Brust, ihr Hals und ihr Gesicht fühlten sich heiß und klebrig an. Während einer nach dem anderen das Porträt betrachtete und dann weiterreichte, sah Sterling Benton den Betreffenden genau an. Suchte er nach einer Reaktion – oder nach ihr?
Die Minuten vergingen quälend langsam; Margaret fühlte sich, als stünde sie mit bloßen
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